Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Pflastersteinen und täuschte zarte Schüchternheit vor. Rani bemerkte, dass sie das Gesicht zur Seite wandte, um ihre Zahnlücke zu verbergen.
Der Soldat glättete die Falten seiner Tunika, und der Anblick seiner kräftigen Finger ließen Ranis Puls schneller schlagen. »Wir ziehen zur Nachtwache, die bei Sonnenuntergang beginnt. Wir haben den heutigen Tag zur Vorbereitung bekommen.«
»Den ganzen Tag?«, fragte Shar strahlend, verlagerte ihren Eimer in eine Hand und hob die andere, um mit den kunstvollen Litzen an Dalaratis Kehle zu spielen. Rani dachte, dass sie fortschauen sollte.
»Den ganzen Tag«, bestätigte der Soldat, »nachdem du gefrühstückt hast.« Er nahm zwei süße Brötchen aus dem Beutel an seiner Taille und bot sie Shar an.
»Oh, Dalarati! Du hast an mich gedacht!« Shar zog ihn zu sich heran und hätte beinahe Wasser über seine Hose gegossen.
»Wie könnte ich dich vergessen«, antwortete er schmeichelhaft, nachdem er sie ausgiebig geküsst hatte. Er fuhr mit einem Finger ihre Kehle entlang. »Nun, wollen wir den ganzen Morgen hier stehen bleiben oder gehen wir in mein Quartier zurück? Ich habe vor der Nachtwache noch viel zu tun.«
»Viel zu tun?«, schmollte Shar und wollte sich von ihrem gut aussehenden Wohltäter abwenden.
»Ja.« Er lachte über ihre Pose, streckte eine Hand aus und griff ihr leicht ans Kinn. »Ich muss Übungen ausführen.« Seine geschmeidigen Finger schlossen sich um Shars Taille. »Und Waffen reinigen.« Shar kicherte und ließ sich von dem Mann zum Rand des Platzes führen.
Rani sah ihnen mit einer nachdenklichen Mischung aus Schock und Eifersucht nach, während sich das Unberührbaren-Mädchen aus der Umarmung des Soldaten wand. Shar lief über den Platz zurück und kam vor Rani atemlos zum Stehen. Bevor der Lehrling etwas sagen konnte, drückte das Unberührbaren-Mädchen ihr eines der Brötchen in die Hand. »Aber…«, wollte Rani protestieren.
»Nimm es! Ich werde keine Zeit haben, beide zu essen.« Shar kicherte erneut und schaute zu Dalarati, der Ungeduld vortäuschte. »Willkommen im Soldatenviertel, Rai.«
Rani wartete kaum, bis das Paar außer Sicht war, bevor sie das Brötchen verschlang. Sie war hungriger, als sie gedacht hatte, und leckte sich die süße Brötchenfüllung unverfroren von den Fingern. Auf ihrem Rückweg zu Garadolos Quartier stellte sie sich die Mahlzeiten vor, an denen sie sich im Soldatenviertel gütlich tun könnte. Das heißt, nur dann, wenn sie bereit war, den Preis zu zahlen.
Solche Gedanken waren natürlich reine Torheit. Sie würde das Viertel noch vor dem Abendessen wieder verlassen. Bardo würde zum Mittag da sein und sie aus dem schäbigen Raum und dem beängstigenden Schmutz fortbringen, sie zu dem Leben davonführen, welches auch immer er sich aufgebaut hatte.
Rani beschäftigte sich mit solcherlei Gedanken, während sie sich daranmachte, den kleinen Raum in Ordnung zu bringen. Während der Morgen voranschritt, merkte sie, dass sie »Die blauäugige Händlertochter« sang. Das war stets Bardos Lieblingslied gewesen, und Rani würde ihn, noch bevor die Sonne an diesem Abend unterginge, dazu bringen, es wieder laut zu singen, mit seinem vollen Bass über die Noten zu gleiten.
Singend wollte sie die Riegel an den Fensterläden öffnen, aber als das Sonnenlicht in den Raum strömte, wünschte sie fast, dass sie sich die Mühe nicht gemacht hätte. Eine Schicht Schmutz bedeckte Holz, Verputz, alles im Raum, als hätten Garadolo und ein Heer von Vorgängern nie ihre schmierigen Hände gewaschen, sondern über alle Oberflächen gestrichen.
Rani stellte ihren Eimer Wasser seufzend an der Tür ab. Die Fetzen irgendeines Kleidungsstücks lagen auf den Bodenbrettern verstreut – es schien, als wäre Rani nicht der erste Mensch, der Garadolos morsche Kleidung zerrissen hatte. Sie verzog die Lippen zu einem grimmigen Lächeln, während sie die schmutzige Kleidung aufsammelte, die so durchlöchert war, dass sie zu nichts Vernünftigem mehr zu gebrauchen war.
Das heißt, zu nichts Vernünftigem außer Lappen. Rani erschauderte, als sie ihre bloßen Hände in den Eimer mit kaltem Wasser tauchte, und sie musste den Stoff drei Mal auswringen, bevor das Wasser klar herauslief. Dennoch begann sie in der Ecke und säuberte einen Kreis menschlichen Lebensraums.
Sie brauchte den restlichen Vormittag und einen guten Teil des Nachmittags, aber der Raum sah wesentlich besser aus, als sie fertig war. Sie hatte gehört, dass die Glocken
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