Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
von Garadolos ekelhaften Vorstellungen von Hygiene. Rani nahm den Eimer und entdeckte überrascht, aber erfreut, dass der Boden heil war. Irgendwo hier im Soldatenviertel musste es Wasser geben. Sie brauchte nur einen der vielen Brunnen der Stadt zu finden.
Rani lief durch die engen Straßen, ging von Garadolos Tür aus spiralförmig voran. Sie achtete sorgfältig darauf, die Biegungen zu zählen, damit sie sich nicht verirrte. Wie sich herausstellte, musste sie nicht weit gehen – ihre empfindsamen Ohren nahmen bald den Klang von in einen Brunnen herabstürzendem Wasser auf. Rani umrundete ein Gebäude und fand sich mitten auf einem Platz mit Kopfsteinpflaster wieder.
Wasser floss großzügig aus einem hohen Brunnen mit einer stabilen Statue, die wie ein Soldat gestaltet war. Der Krieger trug die Uniform des Königs, und er stützte sein Schwert gegen einen Schild. Dieser Schild zeigte einen Löwenkopf, und der Rachen des Löwen war geöffnet und verströmte einen Wasserbogen in einen sich ausdehnenden Teich. Rani grinste über ihren Erfolg und freute sich zu ihrer eigenen Überraschung, als sie entdeckte, dass sie an dem Brunnen nicht allein war.
Eine Reihe von Frauen – tatsächlich nicht mehr als Mädchen – war um den Wasserstrahl versammelt, jede mit einem Eimer oder einer Wasserflasche in Händen. Die Mädchen plauderten miteinander und nahmen sich Zeit, während sich die Reihe langsam vorwärtsbewegte. Rani nahm ihren Platz am Ende der Reihe ein und hob den leeren Eimer, die beiden Mädchen vor ihr nachahmend, auf eine Schulter.
Eines der Mädchen wandte sich um und sah sie an, wobei sie sich ihre Locken aus den Augen strich, während sie Rani von Kopf bis Fuß betrachtete. »Wie heißte?«
Rani erstickte fast an der Antwort. Es war wirklich eine einfache Frage, und zwar eine, auf die sie hätte vorbereitet sein sollen. Dennoch wusste sie nicht, ob sie ihren Geburtsnamen nennen – und ihre Händlerkaste offenbaren – oder sich Ranimara, also wie ein Soldatenmädchen, nennen sollte. Dem Akzent des Mädchens nach zu urteilen, war sie eine der Unberührbaren – eine einzige Silbe könnte genügen.
Rani verbarg ihre Verwirrung hinter einem Husten und dehnte diesen Vorwand so weit aus, bis ihr das andere Mädchen zwischen die Schulterblätter schlug und Rani beinahe ihren Holzeimer fallen gelassen hätte. »Ganz ruhig«, summte das Mädchen leise. »Bleib ruhig.« Als Rani schließlich einen tiefen Atemzug zuließ, dachte sie, das andere Mädchen hätte seine Frage vielleicht vergessen. Dieser Wunsch erwies sich jedoch als zu optimistisch. »Ich hab dich nur nach deinem Namen gefragt. Brauchst nich’ solche Angst zu kriegen.« Das Mädchen beugte sich näher zu ihr und warf achselzuckend einen Blick auf ihre Begleiterinnen. »Du bist nur neu hier. Wir wissen alle, wie das is’. Wir wissen, wie kalt diese Straßen nachts sein können. Es is’ keine Schande, sich von ‘nem Soldaten aushalten zu lassen.«
Rani wollte protestieren – sie war nicht so naiv, die Bedeutung hinter den Worten des Mädchens misszuverstehen. Sie fing lauthals zu streiten an, um ihre Ehre wiederherzustellen, erinnerte sich dann aber daran, dass sie eine Rolle spielte. Wenn dieses Mädchen ihr glauben sollte, durfte sie wohl kaum in der wohlerzogenen Sprache einer Händlerin protestieren. Rani wechselte zu Mairs Straßenjargon. »Bin noch nie vorher hier gewesen.«
»Wirst merken, dass es nich’ so schlecht is’. Die Soldaten ham immer Brot und Wein, und sie teilen nur zu gern, wenn sie glauben, dass du dann in ihrem Bett bleibst.«
Rani errötete jäh, während sich ihr bei dem Gedanken, Garadolos Werbung nachzugeben, der Magen umdrehte. Sie war froher denn je, Bardos Schwester zu sein.
Inzwischen waren die Mädchen zum Brunnen gelangt, und Rani füllte auch ihren Eimer. Als sie vom Wasser forttraten, lächelte das andere Mädchen ihr kurz zu. Ihr fehlte seitlich ein Zahn. »Willkommen im Soldatenviertel. Ich bin Shar.«
»Rai«, antwortete Rani.
Bevor sie sich weiter unterhalten konnten, stieß Shar einen überraschten Schrei aus. »Dalarati!«
Rani schaute auf und sah einen jungen Soldaten am Rande des Platzes stehen. Sein Haar war pechschwarz und aus der Stirn zurückgestrichen. Er hatte lachende Augen, und Rani stockte der Atem. Er war einer der bestaussehenden Männer, die sie je erblickt hatte, fast so gut aussehend wie Bardo.
»Dalarati, was tust du hier?« Shar grinste, stocherte mit einem Zeh zwischen zwei
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