Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
haben wir dafür, dass du in diesem Punkt ehrlich bist? Welchen Beweis haben wir dafür, dass du nicht gekommen bist, um Bardo Händler zu ermorden, da du bereits an dem Mord am Prinzen beteiligt warst?«
»Bardo töten!«
»Ja, in der Tat, Kleine.« Rani gefiel der kalte Blick nicht, mit dem der Adlige sie bedachte. Sie erinnerte sich zu gut an seine Beherrschtheit, als er Ausbilderin Morada disziplinierte, unmittelbar bevor er sie der todbringenden Wache des Königs aushändigte.
»Aber er ist mein Bruder«, erklärte sie. »Ich liebe ihn und respektiere ihn. Ich würde ihm niemals Schaden zufügen.«
»Aber er ist auch für noch mehr Menschen ein ›Bruder‹ als nur für dich, Kleine.« Larindolians Blick bohrte sich in ihre Seele. »Also, Rani Händlerin, bist du bereit, dich in die neue Familie deines Bardo aufnehmen zu lassen? Bist du bereit, dich unserer Bruderschaft anzuschließen?«
Die Frage überraschte Rani. Gewiss wollte sie ihr Umherwandern beenden, wieder in die Sicherheit des Heims ihrer Familie zurückkehren. Sie wollte ihren Namen und ihre Kaste kennen sowie ihren Platz in König Shanoranvillis Stadt. Sie wollte die unglückselige Glasmalergilde vergessen und wieder einfach nur Rani Händlerin sein, ein Mädchen, das die Aufgaben gut erfüllte, für die sie geboren war. Wenn die Bruderschaft Familie bedeutete, dann würde sie sich mit ihnen zusammentun.
Bevor sie jedoch zustimmend nicken konnte, wurde sie an all die Mitglieder der Bruderschaft erinnert, die sie bisher gesehen hatte – Morada und ihr Zorn auf dem Gerüst und der blutige, zerschlagene Körper der Frau. Gildemeisterin Salina, die einem Lehrling, der vollkommen unwissentlich gehandelt hatte, in der Züchtigungshalle so harte Rache schwor. Garadolo, der eindeutig seine eigenen Gründe dafür hatte, ein junges Mädchen aufzunehmen, und sich gerade jetzt auf der anderen Seite des Raumes krümmte wie ein feiger Hund. Tuvashanoran, dessen Körper sie in Leinen und Myrrhe gehüllt hatte.
Und sie dachte an Mair, an das Unberührbaren-Mädchen, das gegen die Soldaten angekämpft hatte, um an Ranis Seite zurückkehren zu können. Mair hatte Angst vor der Bruderschaft – Mair, die sich Borin offen entgegengestellt hatte, die sich allein auf das Kathedralengelände gewagt hatte. Wollte Rani sich der Bruderschaft anschließen? Wollte sie überhaupt wissen, was die Bruderschaft war?
»Bitte, es war nie meine Absicht, Euch Schwierigkeiten zu bereiten. Ich habe meine Mutter und meinen Vater verloren, und alle meine Brüder und Schwestern außer Bardo. Ich will nur meinen Bruder sehen.«
»Ah!«, rief Larindolian aus, als hätte sie den wahren Namen des Ersten Gottes Ait ausgesprochen. »Aber du erkennst das Problem. Wie du weißt, gibt es Leute, die Bardo Händler unbedingt tot sehen wollen, die für die Hinrichtung seiner ganzen Familie gesorgt haben…«
»Nicht seiner ganzen Familie«, konterte Rani hitzig.
Larindolian ignorierte ihre Klarstellung. »Wir wären Narren, wenn wir Bardo in Gefahr brächten, indem wir zuließen, dass er mit einer bekannten Verbrecherin spricht, besonders einer Verbrecherin, die ihr Können bei Ermordungen bereits bewiesen hat. Möge Prinz Tuvashanoran auf den Himmlischen Gefilden in Frieden ruhen.« Der Adlige vollführte mit einer behandschuhten Hand ein heiliges Zeichen.
Rani wiederholte die Geste unwillkürlich, noch während sie protestierte: »Ihr wisst, dass ich den Prinzen nicht getötet habe! Es war jemand anderer auf diesem Gerüst bei Ausbilderin Morada.« Ihre Enttäuschung brach sich in Worten Bahn. »Ich glaube, Morada hatte Recht. Ich glaube, Ihr erwägt tatsächlich bereits den Schnitt Eures Krönungsgewandes, und ich denke, die Bruderschaft würde Euer Handeln nicht freundlich aufnehmen.«
Larindolian atmete geräuschvoll ein. »Du weißt zu viel, Mädchen. Es wäre sicherer für die Bruderschaft, dich hier und jetzt zu töten, sicherer für uns alle, einschließlich Bardo.«
»Nicht sicherer für Bardo! Ich bin seine Schwester! Bringt mich zu meinem Bruder, und Ihr werdet über Eure Erwartungen hinaus belohnt werden.«
Larindolian lachte über ihre tapferen Worte, wischte sie aber wie Spreu fort. »Beweise es, Mädchen. Mach es mir schmackhaft, dich zu Bardo vorzulassen.«
Rani zögerte nur einen Moment, bevor sie Larindolian jede einzelne ihrer Münzen über den gefliesten Boden zuschob. Als ihr Großmut keine Reaktion bei dem Adligen bewirkte, murrte sie leise, griff erneut in
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