Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Herausforderung in ihren Worten mit ernstem Nicken an, und dann zog er blitzschnell den Dolch an seiner Taille. »Weißt du, was wir meinen, wenn wir uns die Bruderschaft nennen? Weißt du, auf was wir hinarbeiten?«
Ranis Erinnerungen kehrten jäh zu einer dunklen Gasse zurück, zu der bitterkalten Nacht, in der Mair ihr Unberührbaren-Wissen mit ihr geteilt hatte. »Ich weiß, dass die Bruderschaft das Kastensystem beenden will. Ihr arbeitet darauf hin, alle Menschen vor den Tausend Göttern gleichzumachen.«
Larindolian nickte gerissen. »Und verstehst du, was das für die Stadt bedeuten wird? Begreifst du, wie ganz Morenia verändert werden wird?«
Rani erinnerte sich an Mairs spöttische Erklärung, dass es Menschen nicht danach gelüstete, zu den kastenlosen Unberührbaren zu gehören. Nichtsdestotrotz dachte sie an ihre Zeit mit Mairs Schar, eine Zeit, in der sie aufrichtig behandelt und fair beurteilt worden war. Sie war nicht für die außerhalb ihrer Kontrolle liegenden Launen eines Marktplatzes verantwortlich gemacht worden. Sie war nicht für den Fehler irgendeines Gildemeisters bestraft worden. Sie war nicht verschworen worden, eine Krone zu verteidigen, über die sie nichts wusste, und sie hatte dem höheren Adel nicht zu schmeicheln brauchen. Rani begriff allmählich, dass die Bruderschaft vielleicht Recht hatte – die Stadt könnte ohne Kasten ein besserer Ort sein. Bardo war eindeutig zu demselben Schluss gekommen.
Rani begegnete Larindolians Blick. »Ich verstehe es.«
»Also gut. Sprich mir nach. Ich, Rani Händlerin, weihe meinen Körper, mein Herz und meine Seele dem Dienst für die Bruderschaft der Gerechtigkeit. Als Zeichen für diese Weihung gebe ich der Bruderschaft das Blut meines Körpers.«
Rani wiederholte jeden Satz des Schwurs, ihre Stimme klang im flackernden Fackellicht erstaunlich fest. Als sie ihren Text beendet hatte, ergriff Larindolian ihr Handgelenk und zog seine Klinge über die Ader, die in der weichen Haut ihrer Armbeuge pulsierte. Rani spürte den eigentlichen Schnitt kaum, aber dann brannte kalte Luft in der Wunde. Rani sog heftig den Atem ein, aber sie zuckte nicht zurück.
Er hielt ihren blutenden Arm fest, bewegte ihn und maß die herabfallenden Blutstropfen ab. Von der karmesinroten Farbe gebannt, beobachtete Rani, wie sich acht kleine Lachen bildeten, eine auf je einem in den Boden eingelassenen Schlangenauge. Während sie die Tropfen ihres Blutes betrachtete, erkannte sie, dass ihr Eid nicht der erste war, den dieser Raum bezeugte. Die Fliesen waren rostig braun gefleckt, und die dazwischen liegenden Fugen tranken ihr Opfer gierig.
Entsetzt über das Risiko, das sie einging, gelang es Rani dennoch, Larindolians kalten Blick aus blauen Augen zu erwidern. Der Adlige nickte, als er ihr Verstehen erkannte, ihr Begreifen, dass sie nun Teil einer größeren Gesamtheit war. Seine bösartig verzogenen Lippen erinnerten Rani an Moradas blutigen Kopf, aber bevor sie aufschreien konnte, schlossen sich Mauern aus schwarzem Samt um sie und nahmen ihr die Sicht und den Atem.
Als Rani wieder zu Bewusstsein kam, vermutete sie, dass nur wenige Momente vergangen waren. Ihr Blut auf dem Boden vor ihr glänzte noch feucht. Larindolian hatte irgendwo einen Streifen schwarzes Tuch besorgt, den er gerade um ihren Arm wand. Er beendete seine Arbeit mit einem festen Knoten, und dann zog er Rani auf die Füße.
»Die Tausend Götter haben deinen Eid bezeugt, Rani Händlerin. Du hast bis morgen Abend Zeit, deine Loyalität gegenüber der Bruderschaft, und gegenüber Bardo, zu beweisen.« Rani streckte behutsam ihre Finger und atmete tief ein, um die Mitternachtsschwingen der Vergessenheit zurückzudrängen. »Ich kann dir versichern, dass wir mit Verrätern nicht sanft umgehen. Du könntest dich nach Moradas leichtem Tod sehnen, wenn wir gezwungen wären, dich aufzuspüren. Morgen um Mitternacht.«
Larindolian machte auf dem Absatz kehrt und fegte aus dem Raum, während Rani von Garadolo auf die Straße geführt wurde.
»Shar, stell keine Fragen!« Ranis Tonfall zeugte von Verzweiflung. »Ich habe niemanden sonst, dem ich vertrauen kann! Du musst für mich zum Core gehen.«
»Und warum gehste nich’ selbst?« Shar streckte sich auf ihrem Strohlager; sie schlief noch halb im grauen Licht unmittelbar vor der Dämmerung.
»Ich sagte es dir bereits – ich weiß nicht, wo das Core ist. Ich weiß nicht, wie ich es finden soll!«
»Natürlich nich’!«, schnaubte Shar. »Core is’
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