Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
niedrigen Raum, und Rani konnte undeutlich ein Gewirr von Gängen ausmachen, die nach rechts und links abgingen. Unheimliche Mosaikmuster zierten die Wände. Erst als sie dieselben Formen auf dem Boden nachgebildet sah, erkannte sie, was die Linien darstellten: vier sich umeinander windende Schlangen. Acht Augen starrten sie von den vier Himmelsrichtungen des Raumes her an, blutige Flecke auf der gewundenen Mauer, von karmesinroten Lachen auf dem Boden widergespiegelt.
Rani wand sich unter dem feindseligen Blick und zuckte zusammen, als Garadolo von der anderen Seite des Raumes her zischelte: »Ich wusste nicht, dass sie mir hierhergefolgt ist! Wie konnte ich wissen, dass sie mir nachspionieren würde? Ich sagte ihr, sie solle in der Baracke bleiben – ich befahl ihr fernzubleiben.«
»Du Narr!«
Rani blinzelte und versuchte, den Besitzer der schleppenden Stimme auszumachen, die aus den Schatten auf der entgegengesetzten Seite des Schlangenraumes erklang. Garadolo schien den Sprecher zu kennen. Der Soldat sank auf die Knie und beugte ergeben den Kopf. »Verzeiht, Herr. Ich wollte der Bruderschaft keinen Schaden zufügen. Ich wollte Euch nicht in Gefahr bringen, Herr.«
»Dummkopf!« Etwas an dem zischelnd geäußerten Zorn klang vertraut, und eine blasse Erinnerung kam Rani in den Sinn. Sie reckte den Hals, um den Sprecher besser sehen zu können, wurde aber von dem Kitzeln von Metall in ihrem Nacken gezügelt. Sie begnügte sich damit, dem albtraumhaften Zorn zu lauschen. »Du verfluchter Soldat – du weißt nicht einmal, wofür die Bruderschaft steht! Ich bin nicht dein Herr, du Nichtsnutz. Ich bin dein Bruder.«
»Ja«, sagte Garadolo und nickte, während er sichtlich den Drang bekämpfte, an seiner Stirnlocke zu ziehen. »Ich weiß das, Herr… Bruder. Ihr seid mein Bruder, aber weiser und klüger als ich…«
»Hör auf zu stammeln!« Der Mann trat ins Licht, und Rani erkannte, warum seine Stimme vertraut klang. Larindolian, der Adlige, der in der verfallenen Hütte Ausbilderin Morada getroffen hatte, stieß sie mit dem Zeh an. »Und du! Wie hast du hierhergefunden?«
»Ich bitte um Verzeihung.« Rani senkte den Kopf, mied es aber bewusst, ihren Worten einen Titel anzufügen. Wenn der Mann nicht Herr genannt werden wollte, wer war sie dann, ihm zu widersprechen? Rani deutete auf Garadolo, der sie mit Blicken durchbohrte. »Ich erfuhr, dass sich dieser Soldat heute Abend mit Euch treffen wollte, und ich hatte Sorge, dass er das Geschenk vergessen könnte, das er für mich überbringen sollte. Da hielt ich es für das Beste, es selbst zu überbringen.«
Rani nahm einen verknoteten Lumpen aus dem Beutel an ihrer Taille und bemühte sich, den Druck des Messers ihres misstrauischen Gefangenenwärters in ihrem Nacken zu ignorieren, versuchte zu vergessen, dass der Mann vor ihr Ausbilderin Morada dem Tod preisgegeben hatte. Rani konzentrierte sich stattdessen darauf, ihre Hände sanft und ruhig zu bewegen und nichts zu tun, was den messerschwingenden Wächter herausfordern könnte. Sie hatte den Lumpen fest um ihren Schatz verknotet und konnte die Knoten nun nicht lösen. Sie war gezwungen, das Tuch an die Zähne zu führen. Sie schmeckte Salz auf ihrer Zunge und versuchte zu vergessen, dass ihr Blut mit einem ähnlichen Geschmack fließen würde, wenn Larindolian ihr Angebot nicht annähme.
»Für die Bruderschaft«, brachte sie mühsam hervor, als sie das Tuch letztendlich entknotet hatte. Der Vorrat an Silber glänzte rot im Fackellicht, Sie vollführte eine Verbeugung und legte die Münzen vor den Adligen auf den Boden.
»Was, he, Garadolo! Dieses Balg bringt uns bei einem Besuch mehr, als du in zwei Wochen der Eskapaden zu Stande bringst!« Der Soldat warf Rani durch den kleinen Raum wütende Blicke zu, und Rani merkte, dass sie für die Anwesenheit des Adligen dankbar war. »Vielleicht ist es ein Glück, dass es diesem umherschleichenden Kind gelang, dir nachzuspüren!«
»Ich war nicht mit dem Kind befasst, nicht mit einem bloßen Kind.« Garadolo erinnerte sich gerade noch daran, Larindolians Titel zu vermeiden. »Ich hatte andere Angelegenheiten zu überdenken.«
Larindolian stieß mit dem Fuß in den Stapel Silbermünzen und zog den edlen Lederstiefel erst zurück, als er stattdessen zu erwägen schien, dem Soldat einen Tritt zu versetzen. »Dringendere Angelegenheiten als ein Spion, der dich bis zum Zentrum der Bruderschaft verfolgte?«
»Ich habe mir keine Gedanken um dieses wimmernde
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