Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
Vom Netzwerk:
Rani schrak in Gedanken vor der Vorstellung zurück. Fünfzehntausend Soldaten? Fünfzehntausend Kinder, die nach Liantine geschickt worden waren?
    »Aber das müssen alle Kinder in Amanthia sein!«
    Crestman zuckte die Achseln. »Die meisten der Jungen.«
    »Und wie ist es dem Kleinen Heer ergangen?« Crestman antwortete nicht, sondern blickte aufs Meer hinaus, und Rani dachte, er müsste ihre Frage über das Krachen der Wogen hinweg überhört haben. »Was hat das Kleine Heer im Osten bewirkt?«, drängte sie. »Welche Kämpfe hat es ausgefochten? Was erwarten sie, was wir tun sollen?«
    Sie glaubte wieder einen Moment, er würde nicht antworten, weil er ihr nicht traute. Sie sah, wie er die Worte zu bilden begann, eine Antwort zu formulieren begann, aber dann schluckte er schwer und umklammerte mit den Händen die Schiffsreling. »Ich weiß es nicht.«
    »Was?« Sein Eingeständnis überraschte sie so sehr, dass sie vergaß, diese Unterhaltung nur begonnen zu haben, um ihn abzulenken. Sie wusste nicht, welche Antwort sie erwartet hatte – dass Crestman den Befehl erhalten hatte, seine Jungen in den sicheren Tod zu führen? Dass von ihnen erwartet wurde, den liantinischen Hafen zu stürmen? Dass sie mit Fackeln in die Stadt stürmen und Chaos und Verwüstung verbreiten sollten? Aber ihn Unwissen zugeben zu hören… »Wie könnt Ihr das nicht wissen?«
    »Ich bin ein Hauptmann, Rani Händlerin, ein Hauptmann im Kleinen Heer. Ich bin ein Soldat. Ich befolge Befehle. Ich bezweifle, dass du verstehen kannst, was das bedeutet.«
    Ranis Gedanken eilten zu ihrem Leben in der Stadt zurück, zu der Zeit, die sie damit verbracht hatte, die Kasten zu wechseln, bevor sie nordwärts nach Amanthia verschleppt worden war. Sie erinnerte sich, im Soldatenviertel gelebt und Befehle der königlichen Garde befolgt zu haben. Und sie erinnerte sich, geglaubt zu haben, ein Mitglied der Bruderschaft der Gerechtigkeit zu sein und die Befehle einer vagen Hierarchie befolgen zu müssen.
    Rani konnte einen kurzen Augenblick eine zarithianische Klinge sehen, ihren eigenen Dolch. Sie konnte das mühsame Atmen des Soldaten hören, den sie hingerichtet hatte, ermordet hatte, weil es ihr befohlen wurde.
    Nun, während sie neben dem verächtlichen Hauptmann des Kleinen Heers stand, blickte Rani abwärts und sah, dass ihre Hände zu Fäusten geballt und ihre Fingernägel in die Handflächen gegraben waren.
    Blutige Halbmonde sickerten durch ihre Haut, und sie zwang sich, Crestman in die Augen zu sehen. »Ich verstehe Befehle. Ich begreife, dass man Befehle eines Vorgesetzten befolgen muss. Und ich weiß, dass solche Befehle falsch sein können, Crestman. Ich weiß, dass Befehle tödlich sein können.«
    Bevor er Einwände erheben konnte, nahm Rani das Schimmern wahr, auf das sie gewartet hatte, ein flüchtiger Blick auf einen geschmeidigen Schatten, der die Leiter zum Laderaum hinabstieg. Mair hatte ihre Unberührbaren-Streife über das Vorderdeck endlich beendet.
    Rani wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Crestman zu, sah ihn ihre gewichtigen Worte abwägen, aber plötzlich fühlte sie sich bei ihrem Gespräch elend. Sie wollte nicht hören, wie ein Soldat weiterhin über Blut und Krieg sprach. Sie wollte sich nicht an ihr Leben im Soldatenviertel erinnern, an die Fehler, die sie gemacht hatte. Rani schoss unter dem Arm des bestürzten Crestman hindurch und hastete zu der Leiter, die in den Laderaum hinabführte, in die Dunkelheit und den Gestank hinab, wo das Kleine Heer wartete.
    Sie keuchte und achtete darauf, durch den Mund zu atmen, als sie den Boden erreichte. Unter Deck brannten nur zwei Fackeln. Rani blinzelte in dem trüben Licht, zwang ihre Sicht zur Anpassung. Sie tastete an ihrer Kehle nach dem Umhang, als jemand eine Hand um ihr Handgelenk schloss.
    »Beruhige dich, Rai. Ich bins nur.« Mair ragte aus der Dunkelheit auf, ihr Gesicht schien in den flackernden Schatten und dem blauen Licht, das die gebrechliche Leiter hinabkroch, leichenblass.
    »Was hast du getan, Mair?«
    »Getan? Was meinst du?« Das Unberührbaren-Mädchen bemühte sich um einen unbeschwerten Tonfall, aber Rani konnte das Stocken in ihrer Stimme hören.
    »Ich habe dich gesehen! Ich habe gesehen, wie du Teleos’ Quartier verlassen hast!«
    »Still!« Mair zischte den Befehl und zog Rani in einen dunkleren Schattenfleck, so weit wie möglich von der Leiter und von lauschenden Ohren fort. Rani sehnte sich nach einem scharfen, reinigenden Duft, um den Gestank des

Weitere Kostenlose Bücher