Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
dass wir nicht bereit sind, Amanthia anzugreifen!«
Diese verfluchte Ratssitzung verlief noch schlimmer, als Hal erwartet hatte. Die königlichen Berater waren kaum mehr als unerzogene Kinder, die sich alle um ein Stück Honigbrot zankten, das jeder für sich beanspruchen wollte, für sich allein.
Hal widerstand dem Drang, sich mit den Fingern durch sein ungebärdiges Haar zu fahren. Die Geste würde nur sein Unbehagen verdeutlichen. Sein Unbehagen und seine Jugendlichkeit sowie die Tatsache, dass er nicht darauf vorbereitet war, mit den älteren Ratsherren in seinem Königreich umzugehen… Er unterdrückte ein Seufzen und zwang sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Ich schlage nicht vor, dass wir den Norden angreifen. Ich rege nur an, dass wir mehr Informationen brauchen. Wir müssen einen vertrauenswürdigen Vermittler schicken, der mit Sin Hazar verhandeln und seine Forderungen ermitteln soll.«
Fordern mit ruhiger Hand. Herrschen über das Land.
Die Singsang-Reime rotierten in Hals Kopf. Er hatte sich jahrelang durch eine Fassade des Schwachsinns geschützt, hatte endlose Mauern aus geistlosem Geschwätz aufgebaut. Nun wusste er genug, um die Rhythmen nicht laut auszusprechen, die in seinem Inneren erklangen, aber er konnte die Stimmen nicht zum Schweigen bringen, konnte die Bestien nicht beruhigen, die sich seit siebzehn Jahren durch sein Gehirn fraßen.
»Euer Hoheit«, sagte Herzog Puladarati, als schelte er ein eigensinniges Kleinkind. »Vielleicht ist dies nicht der richtige Zeitpunkt, jemanden nach Norden zu entsenden. Wir wissen nicht, ob Sin Hazar überhaupt mit der Entführung zu tun hatte.«
Hal wirbelte zu dem Herzog herum. Der Mann mit der Silbermähne hatte seinen König im Ratszimmer lange bekämpft, jede einzelne Entscheidung in Frage gestellt, die Hal zu treffen versuchte. Der gesamte Hof wusste, dass Puladarati im Vorjahr wegen Hals Befreiung von der Bevormundung getobt hatte. Ein Herzog besaß natürlich Macht im Reich, aber ein Herrscher… Ein Herrscher konnte über das gesamte Königreich gebieten.
Nun ließ Hal einem Teil der Enttäuschung über seinen früheren Beschützer mit seinem Protest freien Lauf. »Das haben wir schon tausend Mal besprochen! Wir können erst wissen, ob Sin Hazar damit zu tun hatte, wenn wir einen Abgesandten schicken. Wir können jedoch bereits Zeichen deuten. Wir können die Male einer gebogenen Dolchklinge erkennen. Und wir wissen, dass Bashanorandi im Norden Verbündete hat – Eure eigenen Leute haben die Briefe von Sin Hazars Hof im letzten Frühjahr abgefangen.«
Im Frühjahr lange Reden. Wer schmiedet Fehden?
»Und Eure Leute haben entschieden, diese Briefe vermittelten nur die Sorge eines fernen Onkels um seinen Neffen. Euer Hoheit, ich will nicht mit Euch streiten.« Puladarati hob abwehrend die Hände, als wolle er sich vor Hals Zorn schützen. Dem stämmigen Mann fehlten die letzten beiden Finger der rechten Hand, ein stummes Zeugnis für die Schlachten, die er vor langer Zeit an der Seite von Hals Vater ausgefochten hatte. »Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass die Briefe an Bashanorandi nichts über eine Verschwörung enthielten, die ihn ermutigt haben könnte, nach Norden zu ziehen. Wir können nicht sicher sein, dass Sin Hazar hinter den… Ereignissen auf dem Hügel steckte.«
»Ereignisse? Nennt es wenigstens beim Namen! Die Morde! Meine Männer wurden in Sichtweite meiner Stadt ermordet. Mein Falknermeister wurde niedergestreckt, einen Nachmittagsritt von meinen königlichen Stallungen entfernt!«
Puladarati zuckte die Achseln, wodurch seine Hände so bewegt wurden, dass Hals Aufmerksamkeit auf die beiden fehlenden Finger gezogen wurde. Was hatte Hal dem Königreich von Morenia jemals gegeben, dass diese Ratsherren ihm folgen sollten? Welche Schlachten hatte er ausgefochten, um sich ihr Vertrauen zu erwerben? Wer war Hal, dass er die gesamte königliche Ratsversammlung herumkommandieren wollte?
Räte, die sich zieren. Alle denunzieren.
Genug.
»Mein lieber Herzog Puladarati. Wir wissen, dass Ihr nur versucht, uns in der Stunde der Not zu raten.« Das Dutzend Ratsherren am Tisch beugte sich vor. Hal benutzte nur selten den königlichen Plural. »Wir sorgen uns jedoch darum, dass wir hierin, bei der ersten großen Konfrontation unserer Regentschaft, vielleicht nicht richtig handeln. Ihr wisst, dass wir Euren Rat sehr schätzen, Euer Gnaden. Wir schätzen den Rat aller unserer Ratsherren.«
Hal lehnte sich zurück und beobachtete, wie
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