Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
derjenige war, der entscheiden würde, ob sie vorwärts in unbekannte Länder ziehen oder in die Behaglichkeit der Stadt zurückkehren würden.
Prinz Bashanorandi sah dem Unberührbaren-Mädchen mit wahrem Hass in den Augen nach. »Du tust gut daran, dich von ihr fernzuhalten, Ranita Glasmalerin!«
»Was meint Ihr?«, rief Rani aus, und es entging ihr in dem Moment, dass Bashi sie aus Spott bei ihrem Gildenamen genannt hatte. »Sie ist meine Freundin!«
»Sie ist nur sich selbst eine Freundin. Sie ist eine Unberührbare. Du weißt, dass man ihnen nicht trauen kann.«
»Sie ist die einzige Familie, die ich habe, Bashanorandi.« Ranis Zorn wurde von dem überheblichen Tonfall des Prinzen geweckt. »Ihr habt doch gewiss nicht vergessen, wie schwer es ist, ohne Familie zu leben.«
Die höhnische Bemerkung traf. Rani hatte ihre Familie vor zwei Jahren verloren, aber es war nicht ihre Schuld gewesen. Ihr Bruder hatte ihre Mutter, ihren Vater und alle ihre Geschwister in die Verliese des Königs gebracht, und niemand von ihnen hatte sie lebend wieder verlassen. Aber das war etwas anderes als Bashis Verlust. Ranis Familie war nur des Verrats angeklagt gewesen. Sie waren in Wahrheit unschuldige Opfer.
»Ich vergesse nichts, Ranita Glasmalerin.« Es gelang Bashi, einen ruhigen, sogar beiläufigen Tonfall beizubehalten, aber Rani sah den heftigen Pulsschlag an seiner Kehle.
Dieses Mal bemerkte Rani den grausam spottenden Gildenamen. Sie hörte heraus, wie sicher sich der Prinz war, dass es ihr niemals gelänge, die vernichtete Glasmalergilde wieder aufzubauen. Mit kalter Stimme sagte sie: »Sie ist meine Freundin, Euer Hoheit. Sie hat mir beigestanden, als niemand anderer es tat. Gewiss begreift sogar Ihr den Wert dessen?«
Bashi wirkte, als wäre er geschlagen worden. Seine blassblauen Augen blinzelten, als er die Gemütserregung in Ranis Stimme abmaß. »Was meinst du wohl? Ich begreife den Wert der Freundschaft. Ich begreife den Wert treuer Freunde. Ist dir bewusst, dass ich sie alle verloren habe, Ranita? Ist dir bewusst, dass ich ein Prinz unter Menschen war und jetzt nur noch ein ausgestoßener Verräter bin, trotz der Tatsache, dass ich nichts getan habe, um das Misstrauen der Menschen zu verdienen?« Der Prinz sprach ohne seine übliche Überheblichkeit, als wolle er wirklich Ranis Gedanken, Ranis Glauben ergründen.
Bashis Tonfall verlieh Rani den Mut, von Herzen zu antworten. »Ihr wisst nicht, was Treue bedeutet, Bashanorandi. Sonst würdet Ihr mir niemals raten, einem Mädchen nicht zu trauen, das sich als meine Freundin erwiesen hat. Ihr würdet mir niemals raten, einem Mädchen nicht zu trauen, das in meinem Dienst verletzt wurde. Sie ist an meiner Seite! Sie erhob sich sogar jetzt von ihrem Krankenbett, um nachzusehen, ob es mir gut ging.«
»Ich sage, du kannst einem Balg nicht trauen, das auf den Straßen aufgewachsen ist und alles tun würde, um satt zu werden.«
»Und Ihr denkt, Eure verdrehte Geburt macht Euch vertrauenswürdiger?«, erwiderte Rani, bevor sie über ihre Worte nachdenken konnte.
Bashis Augen blitzten unter seinem braunen Haar auf, und er streckte die Hand nach Ranis Gesicht aus. Er nahm ihr Kinn zwischen seine Finger und kniff durch die Haut bis auf den Knochen. »Ich hatte keinen Einfluss auf meine Geburt! Ich habe mir weder meinen Vater noch meine Mutter ausgesucht, und ich habe nicht darum gebeten, diese Farce an König Shanoranvillis Hof aufrühren zu dürfen.«
Die Finger des Prinzen gruben sich in Ranis Haut, als wollte Bashi ihre Knochen neu gestalten. Rani sah dem jungen Mann entsetzt in die Augen und fragte sich, was er tun würde, wie er seinen Zorn bündeln würde. Sie wollte ihm so gerne darlegen, wie unlogisch seine Argumente waren, ihm zeigen , dass er nur bewies, was sie selbst gesagt hatte. Bashi hatte keinen Einfluss auf sein Leben gehabt, und es hatte bei ihm Narben hinterlassen. Auch Mair hatte es sich nicht erwählt, eine Unberührbare zu sein.
Aber Rani wagte es nicht zu sprechen. Tränen brannten in ihren Augenwinkeln. Das Zeichen der Schwäche ließ Bashi nur noch fester zupacken, und sein Handgelenk zitterte. Dann, wie ein Betrunkener, der weiteren Wein von sich schiebt, stieß der Prinz Rani fort, auf die Reling zu, die den Bug des Schiffes schützte. Rani umklammerte die hölzerne Stütze und zwang sich, tief durchzuatmen. Sie untersagte es sich, eine Hand an ihr Gesicht zu heben, um die Quetschungen zu betasten, die sich, wie sie wusste, auf ihrer Haut
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