Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
richtete Waffen auf sie, merkwürdige Armbrüste, die sich an ihre Unterarme schmiegten. Die Bogenschützen waren Kinder, und jedes Kind blickte mit jungen Augen, die zu viel wussten, zu Shea hoch. Das Haar aller Jungen war auf Kriegerart aus dem Gesicht zurückgebunden.
Während Shea noch nach Atem rang, konnte sie die Spitzen der Pfeile in den Miniaturwaffen erkennen. Die Bögen waren vielleicht klein, die Bogenschützen waren vielleicht jung, aber Shea zweifelte nicht daran, dass die glänzenden, eisernen Pfeilspitzen ihr Leben auslöschen könnten.
Als sie die Bedrohung erkannte, schloss sich ein eisiger Käfig um ihr Herz. Der Atem gefror in ihren Lungen, und sie umklammerte ihr zerrissenes und schmutziges Gewand. Ihre Finger kribbelten und vibrierten, als hätte sie zu lange mit dem Kopf auf den Armen geschlafen. Sie rang um einen weiteren Atemzug, um noch einen, aber das Kribbeln in ihrer Hand kroch den Arm hinauf.
Sie hätte Crestman niemals ohrfeigen sollen, dachte sie absurderweise. Sie hätte den Jungen niemals schlagen sollen. Ein Keuchen entrang sich ihren Lippen, das verdächtig nach einem Schluchzen klang. Sie streckte ihre kribbelnde Hand zu dem narbigen Löwenjungen aus und murmelte seinen Namen, während sie auf die Knie sank.
Crestmans einzige Antwort bestand jedoch darin, dass er ihr Haar ergriff. Seine Finger zogen im Nacken grausam daran, und er zwang sie, in dem modrigen Laub entlang der Straße aufrecht stehen zu bleiben. Shea schrie auf, wehrte sich schwach gegen seine Hand, aber sie hatte der Kraft des Jungen nichts entgegenzusetzen. »Crestman!«, keuchte sie, aber er zog nur stärker.
Wie als Antwort schoss der Schmerz an ihrem Brustbein höher hinauf und nahm ihr den Atem. Eine Kinderstimme piepste über die Lichtung. »Zielt auf sie beide! Dies könnte ein Trick sein!«
Crestman fluchte heftig. »Erkennt ihr mich nicht, Jungs?
Ich bin einer von euch! Ich bin ein Soldat in König Sin Hazars Heer. Ich helfe dieser Frau. Ich versuche, ihr zum Atmen zu verhelfen!«
Wie um seine Behauptung zu bekräftigen, zog Crestman noch einmal fest an Sheas Haaren und zerrte sie hoch. Schwarze Wolken zogen vom Rand ihres Sichtfeldes auf, und sie stürzte vorwärts aufs Gras. Das Letzte, was sie sah, bevor die Welt zu sternenloser Nacht verblasste, war Crestmans verzerrtes Gesicht und das Blut, das sich von seinem geschlagenen Ohr auf seine Tunika schlängelte.
Shea hörte Menschen rumoren, bevor sie die Augen öffnen konnte. Murren, das Geräusch sich bewegender Körper sowie zornig gemurmelte Befehle erklangen. Sie konnte den Geruch eines üppigen Eintopfs ausmachen, und ihr Magen verkrampfte sich beim Duft des Fleisches. Auch das kräftige Aroma von frisch gebackenem Brot war erkennbar.
Shea fragte sich, wer sie betäubt hatte und welchen Trank sie benutzt hatten. Sie war so müde… wie zu dem Zeitpunkt, als sie ihren Sohn zur Welt gebracht hatte. Wie zu dem Zeitpunkt, als sie ihrer Schwanentochter das Leben geschenkt hatte, als sie das Mädchen geboren hatte, während die Sterne am Himmel noch verheißungsvoll schienen. Damals waren die Frauen aus dem Dorf da gewesen, die ihr halfen, ihren Kopf anhoben, sie mit gehaltvoller Fleischbrühe versorgten.
Es waren jedoch keine tröstlichen Frauenstimmen im Raum, kein Säugling, der sich in Windeln an ihre Seite schmiegte. Natürlich nicht, dachte Shea. Natürlich waren keine Säuglinge da. Sie war schon lange über diese Torheit hinaus. Sie hielt einen tiefen Atemzug in ihren Lungen fest und zwang sich, die Augen zu öffnen.
Und als sie sich umgesehen hatte, wünschte sie fast, sie könnte wieder in Schlaf versinken, in ihre seltsamen, wirren Träume. Sie befand sich in einer Hütte, die aus einem einzigen Raum mit einer großen Feuerstelle und einem knisternden Feuer bestand. Diese Hütte ähnelte jedoch in keiner Weise irgendeinem Raum, den sie je gesehen hatte.
Die hölzernen Wände waren von Büchern gesäumt, von in Leder gebundenen Bänden, die wertvoller waren als alle Schätze Pater Narioms zu Hause. Ein Tisch stand unter dem einen Fenster, das Shea sehen konnte. Er war mit verstaubten Glaswaren und Röhrenwerk bedeckt, die wie die verlassenen Überreste der Waren eines Lampenmachers wirkten. Ein weiterer Tisch stand in einer düsteren Ecke verborgen und schien mit staubigen Gefäßen bedeckt zu sein. Shea sah blinzelnd hin und glaubte, Knochen in den Gefäßen ausmachen zu können.
An den Dachsparren hingen Girlanden. Shea konnte
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