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Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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die Zehen.
    »Au!«, rief Crestman aus und wollte sich ihr entwinden.
    Shea packte nur noch fester zu, prüfte die Schuhe des Jungen mit steifen Fingern. Es bestand kein Zweifel – Crestmans Füße waren in das Leder eingezwängt. Seine Zehen stießen hart gegen den vorderen Rand des starren Leders. »Nun, kein Wunder, dass du hinkst, Junge! Warum hast du nichts gesagt?«
    »Was gab es da zu sagen?« Sheas unsanfter Dienst hatte dem Jungen heiße Tränen in die Augen getrieben. »Ich bin ein Soldat in König Sin Hazars Heer.«
    »Nicht mehr, das bist du nicht mehr. Nicht wenn du mit einer Sonnenfrau durchs Land ziehst. Nicht wenn du an einem Flussufer entlangschleichst und die Entdeckung durch die Truppen Seiner Majestät zu vermeiden suchst. Wenn wir gemeinsam reisen wollen, darfst du mich nicht anlügen!«
    »Ich habe nicht gelogen! Ich habe kein Wort gesagt!«
    »Auch Schweigen kann eine Lüge sein, Junge. Manchmal eine schlimmere Lüge als Worte.« Shea schüttelte den Kopf und ließ den Jungen los. »Zieh deine Schuhe aus.«
    »Was? Ich werde sie niemals wieder anbekommen!«
    »Ich sagte, zieh sie aus.« Sheas Stimme wurde beim Sprechen bestimmter, bis die Worte härter klangen als das vom Wasser gehärtete Leder an Crestmans Füßen. Der Junge schluckte die murrende Klage hinunter und folgte Sheas Aufforderung.
    Shea gelang es, sich nicht an Crestmans schlecht verhülltem Ausdruck der Erleichterung zu weiden, die abflauende Qual in den angespannten Linien seiner Kiefer, seiner Schläfen. Stattdessen zog sie ihr langes Messer hervor, die einzige Waffe, die sie aus ihrem kleinen Haus mitgenommen hatte. Die Klinge war scharf, aber sie hatte dennoch mit dem steinharten Leder zu kämpfen. Sie biss ebenfalls die Kiefer zusammen, während sie bei beiden Schuhen die Kappe abschnitt. Als sie Crestman die Schuhe zurückreichte, sah er sie ungläubig an.
    »Meine Füße werden frieren!«
    »Du wirst sie mit Stoff umwickeln. Du würdest zum Krüppel, wenn du diese Dinger noch viel länger trügest.«
    »Es waren gute Schuhe!«
    »Vielleicht gut für ein Kind. Du bist kein Kind mehr, Crestman.« Sie äußerte die Worte in scheltendem Tonfall, aber sie bewirkten, dass sich der junge Mann höher aufrichtete. Er war kein Kind. Er wurde zum Mann. »Wir werden sehen, ob wir dir neue Schuhe besorgen können, wenn wir ankommen.«
    »Wo ankommen?«
    »Wo immer wir uns wiederfinden werden«, antwortete Shea schließlich. Diese Antwort genügte, um Crestman dazu zu bringen, seine Füße mit weiteren Binden aus ihren letzten Unterröcken zu umwickeln. Als sie sich vom Fluss entfernten, bewegte sich der Junge zunächst unbeholfen, gewöhnte sich aber dann an seine neue, zehenfreie Fußbekleidung und verfiel bereits nach wenigen Schritten wieder in den stolzen Gang eines Soldaten. Shea unterdrückte ein Lächeln und ließ ihn den restlichen Tag lang die Führung übernehmen.
    Ihre neu begründete Kameradschaft ließ Crestmans Verhalten doppelt empörend wirken, als der Junge sich Shea plötzlich widersetzte, weniger als einen Tag vom Schwanenschloss entfernt. Sie hatten angehalten, um an einem Fluss zu trinken, dankbar für das kühle Wasser, nachdem sie den Morgen über eine hoch gelegene, trockene Straße entlanggegangen waren.
    »Bleibt hier«, forderte Crestman nachdrücklich. »Ich werde vorausgehen und Euch wissen lassen, was ich vorfinde.«
    »Unsinn. Wir gehen zusammen wie bisher auch.«
    »Es ist gefährlich. Ich werde vorausgehen.«
    »Du bist noch ein Junge.«
    »Das habt Ihr neulich nicht gesagt. Ich bin ein Soldat in König Sin Hazars Heer!«
    »Nicht mehr.« Shea sprach eigensinnig. Sie hatte sich fast daran gewöhnt, Löwen zu widersprechen. Wie nur wenige Tage des Unterwegsseins eine gute Sonnenfrau verändern konnten… »Du bist nichts mehr, Crestman. Du betonst dein Soldatentum immer dann eifrig, wenn du glaubst, du könntest es zu deinem Vorteil nutzen. Ich werde dich nicht allein gehen lassen.«
    »Und wie wollt Ihr mich aufhalten?« Das Gesicht des Jungen hatte sich gerötet, als wäre es von den Blättern der Bäume gefärbt, die über die Straße wehten. Er verlieh seiner Stimme Nachdruck, indem er eine Hand an sein Messerheft legte.
    »Ich werde dich ohrfeigen, wenn es sein muss. Du bist nicht so alt, dass ich dich nicht wie ein Kind behandeln würde, wenn du dich wie eines verhalten willst.«
    »Das würdet Ihr nicht wagen!«
    »Ich wünschte, wir wären wieder in meinem kleinen Haus, Löwenjunge. Dann

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