Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
Hazar. Er ist stolz auf seine Stellung.«
Shea hörte die Botschaft hinter Crestmans Worten, die Warnung, dass sie mit dem Feind sprach. Erst als Shea sich auf ihrer Bettstelle zurücklehnte, erkannte sie, in welch großer Gefahr sie sich vielleicht befand. Sie war mit einem Deserteur aus König Sin Hazars Truppen auf der Straße aufgegriffen worden, von den eigenen Soldaten des Königs gefunden worden. Warum lebte Crestman noch? Warum war er nicht gefesselt und der Gerechtigkeit des Königs zugeführt worden?
»Hier.« Monny hielt ihr eine Schale hin, offenbar ohne die Fragen, die der alten Frau durch den Kopf gingen, zu ahnen. »Davin sagte, Ihr solltet essen, wenn Ihr aufwacht. Nicht zu viel und nicht zu schnell, aber er sagte, Ihr würdet hungrig sein.«
»Wer ist dieser Davin?«, fragte Shea erneut. Sie wollte nach der Schale greifen, aber ihre Hände zitterten zu sehr. Crestman setzte sich neben sie. Sie lehnte sich an ihn und fragte sich gleichzeitig, was mit ihr geschehen sein konnte, wie sie so schwach geworden war. Crestman griff nach Monnys Holzschale, aber das Kind zog sie zurück.
»Davin sagte, dass sie essen sollte, nicht du.«
»Ich werde nichts essen, Junge. Ich werde sie damit füttern.«
»Wie kann ich dir vertrauen? Du warst hungrig genug, als Davin dir deine eigene Schale gab.«
»Ich bin ein Hauptmann in König Sin Hazars Heer, Junge. Du kannst mir jetzt glauben, oder du kannst mir glauben, wenn ich dir das Fell über die Ohren gezogen habe.«
»Das sagst du«, murrte Monny, aber er überließ dem größeren Jungen die Schale. »Du behauptest, ein Hauptmann zu sein, aber bisher haben wir keinen Beweis dafür gesehen.«
»Ich sagte euch, dass diese Frau meine Aussage bestätigen würde.« Shea hörte die Schärfe in Crestmans Stimme, so scharf wie der Ellenbogen, den er ihr heimlich in die Seite bohrte. Dieser Austausch war wichtig. Sie sollte sich konzentrieren. Crestman sah den Jungen finster an. »Zweifelst du immer so offensichtlich und vernehmbar an deinem König?«
»Gute Frau.« Monny wandte sich an Shea. »Er hier hat Geschichten erzählt. Er sagte, Ihr würdet Euch für ihn verbürgen.«
»Ja«, bestätigte Shea. »Aber lass mich zuerst etwas essen.
Wir waren über eine Woche unterwegs.« Noch während Shea ihre Ausflucht äußerte, erkannte sie, dass sie womöglich gerade einer Geschichte widersprach, die Crestman erzählt hatte. Der Löwenjunge war jedoch nicht angespannt, als er ihre Schale anhob, und sein Gesicht blieb unbewegt, als er sich auf einem kleinen Tisch neben ihr zu schaffen machte und einen Holzlöffel hochnahm.
»Ja, lass sie essen, Monny. Sie wird euch unsere Geschichte bald genug erzählen. Sie wird euch alles über unsere Reise aus dem Norden berichten. Sie wird euch erzählen, dass sie das Kindermädchen des Königs war, das Kindermädchen von König Sin Hazar und Königin Felicianda. Sie wird euch alles über ihr Leben im Schloss berichten.«
Shea nickte, obwohl sie nicht einmal in der Lage war, sich zu fragen, welche Geschichten sie erfinden müsste. Stattdessen kaute sie auf dem Stück Fleisch, das Crestman ihr in den Mund schob. Das Wildbret war zäh, aber voller Geschmack, und es bildete sich starker Speichel, während sie den Bissen mit der Zunge umherschob. Als sie schluckte, spürte sie, wie sich ein wenig Kraft aufbaute, sich in ihre Glieder stahl. Ihr Arm fühlte sich noch immer seltsam taub an, aber ihre Finger und Zehen begannen aufzutauen. Crestman fütterte sie mit einem Stück Kartoffel, das sie sorgfältig kaute, und dann fühlte sie sich verpflichtet, zumindest eine der Fragen zu beantworten, die den jungen Monny offensichtlich beschäftigten.
»Ja, Kind. Er sagt die Wahrheit. Ich komme aus dem Schloss, aus dem Schw…«
Crestman begann zu würgen, als hätte er die Leckerbissen gegessen. Während der Löwenjunge noch hustete, so dass Shea auf ihrer Bettstelle auf und ab hüpfte, erkannte sie, welchen Fehler sie beinahe begangen hätte. Wäre sie das Kindermädchen des Königs gewesen, wäre sie natürlich nicht aus dem Schwanenschloss gekommen. Sie käme aus Amanth, hoch im Norden. Nichts an der erfundenen Geschichte besagte, warum sie zum Schwanenschloss hätte gehen sollen. Gar nichts.
»Vorsicht, Junge«, sagte Shea und regte sich, als wollte sie Crestmans Husten lindern. Er sah sie im düsteren Licht der Hütte finster an, und sie wollte sich entschuldigen, wollte ihm sagen, dass sie nicht fürs Spionieren und
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