Die Gilden von Morenia 02 - Die Gesellenjahre der Glasmalerin
dass hier etwas nicht stimmte, dass sie irgendeinen Fehler begangen hatte. Sie war jedoch zu müde, um sich zu berichtigen. Es war noch genug Zeit dafür, nachdem sie geschlafen hatte. Nachdem sie geträumt hatte…
Als Shea das nächste Mal erwachte, war es in der Hütte Nacht. Sie konnte den Kopf zum Fenster drehen, aber sie erkannte nur tiefschwarze Dunkelheit. Das Holzfeuer in der Feuerstelle brannte noch immer, aber nun war es kaum mehr als Glut, glühende Kohlen, die rauchigen Holzgeruch aussandten. Shea schaute zu dem sprechenden Vogel, der aber schlief, den blauen Kopf ordentlich unter einen azurblauen Flügel gesteckt.
Shea hatte wieder Durst, und ihr Bauch brannte vor Hunger. Sie atmete tief ein und richtete sich in eine sitzende Position auf.
»Cor!« Die Stimme eines Kindes erschreckte Shea, und ein stechender Schmerz durchzog ihre Brust. Sie war kurzatmig, und sie hatte das Gefühl, als läge ein Band fest um ihre Haut, ein breiter Streifen wassergetränktes Leder, das in der schwülen Luft der Hütte trocknen und straff werden sollte.
»Ruhig!«, erwiderte sie unwillkürlich, als kenne sie die Person, die gesprochen hatte, als wüsste sie, wen sie in der Hütte wecken mochte.
»Ich werde nicht ruhig sein! Ihr könnt mich nicht herumkommandieren!«
Shea stützte sich auf einen Ellenbogen auf, während sie sich auf ihrer Bettstelle umwandte. Ein kleiner Junge saß neben dem Feuer und rieb sich mit einer schmutzigen Faust den Schlaf aus den Augen. Das hellrote Haar des Kindes hatte sich aus seiner Kriegerhaartracht gelöst. Es stand von seinem Kopf ab wie brennendes Stroh auf einem gerade abgeernteten Feld. Sein Gesicht war voller Sommersprossen; tatsächlich war die einzige von Sommersprossen freie Haut der kleine Fleck unter seinem linken Auge. Eine Narbe vom Wegschneiden des Geburtsrechts des Kindes.
»Wer bist du, Junge?« Noch während sich Shea aufrichtete, sich über ihre Kurzatmigkeit hinwegsetzte, sich über den Schmerz in ihrer Brust hinwegsetzte, erkannte sie, dass sie dieses Kind schon früher gesehen hatte. Er war derjenige, der ihr auf der Lichtung in den Wäldern entgegengetreten war, derjenige, der einen Pfeil mit Eisenspitze auf ihr Herz gerichtet hatte.
»Ihr seid hier der Gast«, schmollte das Kind. »Ihr solltet Euch zuerst vorstellen. Das sagt Davin.«
»Davin? Wer ist Davin?«
»Stellt Euch zuerst vor.«
Bevor Shea etwas erwidern konnte, hörte sie eine vertraute Stimme. »Ihr könnt ihm Euren Namen ebenso gut nennen. Er wird nicht eher Ruhe geben, bis er gewonnen hat.« In Crestmans Stimme klang Ergebenheit mit, aber Shea konnte ein freudiges Lächeln beinahe nicht unterdrücken. Crestman lebte. Er lebte, und es ging ihm so gut, dass er sprechen konnte.
»Mein Name ist Shea«, sagte sie zu dem rothaarigen Jungen.
»Ich bin Monny.« Das Kind strahlte zufrieden, weil es diesen kleinen Kampf gewonnen hatte. Shea bemerkte, dass die Eckzähne in seinem Mund überlang waren, als wäre er ein Wolf. Unsinn, sagte sie sich und schüttelte den Kopf über ihre anhaltende Erschöpfung. Es war nichts Bedrohliches an dem Kind. Er hatte einfach gerade seine Milchzähne verloren, und die bleibenden Zähne waren noch zu groß für seinen Mund. Shea zwang sich zur Konzentration, zu vernünftigem Denken.
»Ich danke dir, Monny«, sagte sie. »Wo sind wir? Was ist in den Wäldern mit mir geschehen? Hast du auf mich geschossen?«
»Auf Euch geschossen! Warum sollte ich das tun?«
Crestman antwortete, bevor Shea eine Erklärung ersinnen konnte. »Ihr seid gestürzt, Shea. Ihr habt Euch an die Brust gegriffen und seid gestürzt, bevor eines der Kinder auf Euch schießen konnte.«
»Dann habe ich sie mir nicht eingebildet? Es sind noch mehr?«
»Ja.« Erneut antwortete Crestman. Shea konnte erkennen, dass Monny nicht gerne ignoriert wurde. Der kleinere Junge trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und ballte die Hände zu Fäusten. »Mehr als zwanzig. Sie sind jedoch draußen.«
»Draußen? Es ist zu kalt, als dass Jungen draußen schlafen sollten.«
»Es ist nicht zu kalt für die Truppen König Sin Hazars!«, erwiderte Monny eifrig und wirkte, als hätte Shea sein Geburtsrecht in Frage gestellt. »Wir schlafen jede Nacht draußen. Das macht uns für den König widerstandsfähig. Das macht uns für ihn zu guten Soldaten.«
»Aber ihr solltet nicht…«, wollte Shea protestieren, aber Crestman unterbrach sie.
»Es wird Euch nichts nützen, mit ihm zu streiten. Er dient König Sin
Weitere Kostenlose Bücher