Die Gilden von Morenia 03 - Die Wanderjahre der Glasmalerin
Morenia zu kommen, sich um ihre Spinnen und deren Junge zu kümmern, Hals neuen Ritterorden anzuleiten.
Hal stellte sich nur einen Augenblick den Zorn seines Rates vor, ihren Unglauben, wenn er seine Entscheidung verkündete. Er konnte ihr Erstaunen sehen, und er stellte sich die Anklagen gegen ihn vor. Sie würden behaupten, er habe Berylina im Stich gelassen, sie wegen ihres Aussehens, wegen ihrer Schüchternheit zurückgelassen.
Er überlegte, was er entgegnen könnte. Er stellte sich vor, wie er mit den Octolaris in ihren Käfigen vor seinem Rat stand, und mit den Riberrybäumen, um die Rani gerade für ihn verhandelte.
Rani.
Wenn er Berylina beiseiteschob, wie könnte er dann eine Gildefrau zur Braut nehmen? Wie könnte er sich Mareka zuwenden, wenn es so viele bessere Möglichkeiten gab?
Außerdem, wenn Hal Berylina im Stich ließe, versagte er sich auch ihre Mitgift: und somit die sofortige Zahlung, die er der Kirche schuldete. Die Rate, die bereits in einer Woche, am Mittsommertag, fällig war. Er musste Berylina haben. Es führte kein Weg daran vorbei.
Berylina und die Zahlung an die Kirche. Mareka und die Zahlung an die Gefolgschaft.
Er konnte nicht beides haben.
Glocken begannen stetig zu läuten, verkündeten die Mittagsstunde. Verdammt! Er wurde in Berylinas Sonnenraum erwartet. Dies war der letzte Tag, an dem er seine Braut vor der Hochzeit besuchen konnte. Nach liantinischem Brauch mussten Braut und Bräutigam eine Woche vor der Hochzeitszeremonie getrennt werden. »Mareka«, begann er.
»Geht«, sagte sie, ohne sich von der Einstimmung der zweiten Spinne abzuwenden. »Geht zu Eurer Prinzessin, Mylord.«
Hal konnte das spöttische Lächeln hinter ihren Worten hören. Die Glocken hörten auf zu läuten. Es war schon spät. »Mylady«, sagte er und verbeugte sich steif, obwohl sie sich nicht umwandte.
Er eilte so schnell durch die liantinischen Gänge, dass sein armer Knappe laufen musste, um mitzuhalten. Erst auf der Treppe zum Sonnenraum nahm er sich die Zeit, seine Tunika zu richten und mit den Handflächen über sein ungebärdiges Haar zu streichen. Er zögerte an der Tür, denn er ärgerte sich, dass er seine Verpflichtung, Berylina zu besuchen, fast vergessen hätte. Er konnte es sich nicht leisten, diplomatische Fehler zu begehen. Nicht jetzt. Nicht wenn so viel von den Regeln und Gebräuchen und Verbindlichkeiten abhing.
Er bedeutete dem fragend dreinblickenden Calaratino zu schweigen und lauschte auf die aus dem Inneren des hoch gelegenen Raumes dringenden Geräusche. Er konnte schwach das Murmeln leiser, sich unterhaltender Stimmen ausmachen, und dann ein zögerliches Kichern, das wie das Zwitschern eines Wildvogels klang. Berylina konnte also lachen. Vielleicht nicht in seiner Nähe – dafür war sie noch zu schüchtern –, aber zumindest war sie zur Heiterkeit fähig.
Hal seufzte und betrat den Sonnenraum.
Berylina stand an der Staffelei, einen Zeichenkohlestift fest zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie betrachtete ihr Pergament sorgfältig abschätzend mit geneigtem Kopf – eine Haltung, die einen Moment lang ihr Schielen verbarg. Es gelang ihr sogar, ihre Hasenzähne zu verbergen, denn ihre Lippen waren zu einem breiten Lächeln zurückgezogen, das dem den Raum erfüllenden, trällernden Lachen entsprach. »Seht mich nicht direkt an!«, sagte sie. »Bain würde eine bloße Sterbliche nicht direkt ansehen.«
Bain. Der Gott der Blumen.
Hal wusste, dass die Worte der Prinzessin nicht für ihn bestimmt waren, und er sah sich im Raum um, folgte Berylinas Blick. Er war überrascht, Pater Siritalanu auf einem der kunstvoll geschnitzten Stühle sitzen zu sehen, welche die Wände des Raumes säumten. Der Priester hatte seine grünen Gewänder um seine Füße ausgebreitet und hatte es Berylina – Berylina oder ihren Kindermädchen – erlaubt, Blumen auf dem Stoff zu verteilen. Drei große Lilien ergossen sich kaskadenförmig über die Vorderseite des Stoffes, und ein Wasserfall von Vergissmeinnicht stürzte herab. Iris und Narzissen lagen da, und eine sorgfältig gestaltete Girlande aus frühen Rosen wand sich um seine Schultern.
Bei Hals Eintreten wollte der Geistliche aufstehen und zerstörte die sorgfältige Anordnung. Berylina, die den Eindringling nicht bemerkte, rief aus: »Nein! Noch nicht bewegen! Ich bin noch nicht fertig.«
»Verzeiht!«, sagte Siritalanu, und Hal war sich in dem kurzen, verlegenen Moment nicht sicher, ob der Priester ihn oder die Prinzessin
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