Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Brianta?« Berylina hörte Shad näherrollen.
»Die Götter kommen zu ihr, Euer Ehren. Sie präsentieren sich ihr ohne die Vermittlung von Priestern. Sie sieht die Götter, und sie hört sie. Sie kann die Hand ausstrecken und sie berühren, sie riechen, sie schmecken!«
Ein Donnerschlag hallte in Berylinas Schädel wider, als Torio brüllte: »Ich werde dieser Blasphemie nicht zuhören!« Gleichzeitig sprang Siritalanu auf das Podest zu und streckte seine Finger aus, als wollte er Ranita Glasmalerin erwürgen.
»Ich sage die Wahrheit!«, rief Ranita, und Berylina fragte sich, ob sie gegen Torio oder gegen Siritalanu protestierte. »Fragt die Prinzessin, wenn Ihr mir nicht glaubt. Sie ist den Göttern näher als jeder andere von uns in diesem Raum. Sie kennt sie besser, als wir es jemals erhoffen können.«
Berylina spürte den Moment, in dem Torio sie absolut hasste, spürte ihn wie einen Lichtstrahl aus einer abgeschirmten Laterne. Seine Stimme bebte vor Zorn, als er sagte: »Also stimmt es? Ihr beansprucht diesen Unsinn als die Wahrheit?«
Erneut krachte in Berylinas Ohren Donner. Sie bemühte sich, sich noch ein wenig höher aufzurichten, bemühte sich, ihr Rückgrat noch gerader werden zu lassen. Sie richtete ihr gesundes Auge auf ihren Ankläger. »Ja, Euer Gnaden. Die Götter kommen in vielerlei Gestalt zu mir. Ich habe sie durch meine Augen und durch meine Ohren, durch meine Nase und Zunge und Haut kennengelernt.«
Männer schrien auf, als wäre Berylina ein Feind auf einem Schlachtfeld. Frauen kreischten, als hätte sie zugegeben, kleine Kinder gequält zu haben. Ranita erbleichte, und Berylina wusste, dass sie erst jetzt erkannte, wie falsch ihre Verteidigung war. Siritalanu stöhnte leise, ein schwacher Laut, der aus einem unbestimmten Grund durch den Raum zu hören war.
Berylina wollte zu ihnen allen sprechen. Sie wollte ihnen sagen, dass sie sicher wäre, dass die Götter über sie wachen würden. Sie wollte ihnen sagen, dass sie verstand, dass sie wusste, dass sie glaubte.
Während sie Ranita beobachtete, erkannte sie, dass die Glasmalerin noch nicht fertig war. Die andere Frau ergriff mit vibrierenden Fingern die Balustrade, mit Händen, die vom Glasschneiden frisch vernarbt waren. Berylina begriff plötzlich, dass Ranita erzählen würde, was im Gefängnis geschehen war. Sie würde die Neuigkeiten des Hypnotisierens teilen, der Macht, die von Berylina in Ranita geflossen war.
Das durfte nicht geschehen.
Während Shad Donner in ihr Ohr flüsterte, erkannte Berylina die Wahrheit. Sie kam als eine einzigartige Ganzheit zu ihr, eine glatte Perfektion, die weiße Kugel, die sie zuerst in Jairs Heiligtum gesehen hatte. Als ob der Erste Pilger selbst zu ihr spräche, erkannte Berylina, dass nicht zugelassen werden durfte, dass Ranita sich selbst verdammte. Es durfte nicht zugelassen werden, die seltsame Art, mit der sie nun mit den Göttern kommunizieren konnte, zu teilen – noch nicht, nicht jetzt, nicht hier im wahnsinnigen Brianta.
Berylina trat einen einzelnen Schritt vor. Sie hob die Hände über den Kopf, als beriefe sie alle Macht der Tausend herab. Sie warf den Kopf zurück, wie die Priesterin in Liantine es vor langer Zeit getan hatte, die Frau, die sich der alten Göttin verschrieben hatte, der Gehörnten Hirschkuh. Berylina füllte ihre Lungen mit einem tiefen, schaudernden Atemzug, ließ die Luft in sich hineinströmen, ließ sie jeden Raum in ihrem Körper ausfüllen.
Beim Atmen sammelte sie die Macht in dem Raum. Der Donner Shads sowie das Sonnenlicht Gols erfüllten ihre Adern. Sie schmeckte den Honig Sorns, des Gottes des Gehorsams. Auch wenn sie aufrechter stand, höher aufragte, waren ihre Glieder in einer Daunenbettdecke geborgen, in der Berührung Pelts, des Gottes der Ordnung. Sie hörte das sanfte Geräusch eines gierig saugenden Kindes, und sie wusste, dass Arn neben ihr stand, dass der Gott des Mutes sie mit seiner Zuversicht abschirmte. Sie roch Flieder, lieblich und süß, und sie erkannte, dass Hin, der Gott der Rhetorik, zustimmte, an ihrer Seite auszuschreiten.
»Seht!«, rief sie. Aller Augen wandten sich ihr zu, vereinnahmten sie, aber dieses eine Mal in ihrem Leben empfand sie nicht dieses unterwürfige Entsetzen, diese hassenswerte Sicherheit, dass sie der Aufmerksamkeit nicht wert sei. Ihre Hände streckten sich über ihren Kopf, reckten sich, stärkten sich, beriefen herauf. Sie wusste, dass ihr Haar wirr sein musste. Ihr Kiefer musste verzerrt sein, aber nun
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