Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Raumes. Sie wuchteten es zum Altar, hoben es unter Mühen an. Berylina spürte, wie das Gewicht auf ihre Brust, auf ihren Bauch, auf ihre Oberschenkel niedersank. San, der Gott des Eisens, erfüllte ihren Mund mit dem Geschmack süßen Weins, und sie schluckte so rasch sie konnte, trank ihn, erfüllte ihren Bauch, erfüllte ihre Seele.
Weitere Rufe, weiteres hastiges Handeln. Einige der Wächter schürten das Feuer in der Ecke. Die Gläubigen unter den Zuschauern drängten vorwärts, bereit zu helfen, wollten die Seele der Hexe verzweifelt retten.
Yot, der Gott der Steine, schrie Berylina in die Ohren, kreischte sein das Herz gefrieren lassendes Falkengeschrei. Berylina hörte ihn die Steine zählen, welche die Priester aus dem Feuer zogen. Er rief nach jeder seiner Schöpfungen.
Gir, der Gott des Feuers, ermaß die Hitze seiner Flammen, erfüllte Berylinas Augen mit goldgefleckten Hitzewogen. Die Ernsthaftigkeit des Gottes des Feuers erstickte fast Torios Befehle, überdeckte fast das Brüllen des Priesters nach weiterem Holz.
Dann kam Yot näher. Sein Falkenschrei erfüllte Berylinas Ohren, ergoss sich in ihren Körper. Sie spürte, wie Torios erste Steine auf die Eisenplatte gelegt wurden.
Feuer. Druck. Schmerz.
Berylina streckte sich nach Gir aus, nahm Yot in sich auf. Die Götter bargen sie in ihrem Sein, nahmen sie in ihre Herzen auf, hießen sie wie Geliebte willkommen.
»Gebt Ihr zu, dass Ihr eine Hexe seid?« Torios Stimme erhob sich über den schreienden Falken hinweg, jenseits des golden-weißen Vorhangs. Berylina konnte nicht sprechen. Sie konnte die Worte nicht heraufbeschwören, um die Götter neben sich zu leugnen. Sie würde die Gottheiten, die den Raum erfüllten, nicht ignorieren. »Noch einen Stein!«, rief Torio.
Gewicht. Hitze. Qual.
»Gebt zu, dass Ihr eine Hexe seid!« Berylina warf den Kopf auf, drehte sich so, dass sich Girs golden-weiße Vorhänge über sie legten. Yot schrie ihr erneut ins Ohr. »Noch einen Stein!«
Glühen. Ersticken. Weiß-heißer, gezackter, reißender Schmerz.
»Sagt, dass Ihr eine Hexe seid! Gesteht ein, dass Ihr die Götter aufgegeben habt, und Ihr seid frei!«
Ein Teil von Berylinas Geist konnte ihr versengtes Gewand riechen. Sie erkannte, dass sie ihr Gewand – Ranitas Gewand – beschmutzt hatte, und ein Teil von ihr schämte sich. Sie versuchte, ihre Lungen zu füllen, versuchte, die Worte zu sammeln, die so weit weg, so lange vergessen schienen… Aber was war es, was sie sagen musste? Was musste sie tun?
Sie sammelte alle Macht der Götter um sich herum und öffnete die Augen. Sie konnte den Rand des Eisenblechs in ihre Brust schneiden sehen. Sie konnte die klumpenförmigen, heißen Steine erkennen, die sich gerade durch das Eisen sengten. Sie konnte die entsetzten Wächter sehen, nun zurückgetreten, ihre albernen, religiösen Zeichen über der Brust vollführend.
»Gesteht, Hexe! Gesteht, und Ihr seid frei!«
Berylina wandte langsam, langsam den Kopf. Torio stand auf dem Podest, Entsetzen und Zorn und Scham auf seinem fetten Gesicht vermischt. Sie wollte zu ihm sprechen, wollte ihm sagen, er solle sein Herz öffnen, seine Seele öffnen, die Götter um ihn herum empfangen, aber sie konnte den Atem nicht aufbringen.
»Hexe!«, schrie er. »Verflucht mich nicht mit Eurem schielenden Auge! Gesteht! Bereut!«
Sie berief noch mehr ihrer schwindenden Kraft herauf und wandte sich Siritalanu zu. Der Priester reckte sich zu ihr, streckte Finger nach ihr aus, die wie Klauen schienen. Sie sah, wie die Wächter ihn zurückhielten, bemerkte in einem fernen Teil ihres Gehirns, dass vier Männer nötig waren, um dies zu tun. Vier Männer! Sie hätte nicht gedacht, dass Siritalanu solche Kraft besaß. Seine Lippen waren verzerrt, als er die Wächter verfluchte, und sein Gesicht glänzte vor Speichel und Schweiß und Tränen.
»Noch einen Stein!«, rief Torio.
Also war nur noch wenig Zeit. Berylina reckte den Hals, schob Girs golden-weiße Vorhänge vorsichtig beiseite. Sie musste noch jemanden finden. Sie musste noch jemanden ansehen. Sie musste…
Da. Sie stand auf dem Podest. Noch immer auf der Plattform gestrandet, auf der sie ausgesagt hatte, auf der sie die Worte gesprochen hatte, die Berylinas Tod bewirkten. Ranita Glasmalerin.
Seht mich an, wollte Berylina rufen. Sie rang darum, ihre Lungen zu füllen, aber sie konnte keine Luft finden. Sie rang darum, die Worte zu gestalten, aber ihr Mund wurde anderweitig verzogen, zu einer entsetzlichen Form,
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