Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
und sah die Verräterin direkt an, »nennst du dich eine Glasmalerin.«
»Ich bin eine Glasmalerin, Meister.«
»Das hat die Gilde zu entscheiden. Für die Zeit der Prüfung werden wir dir hier im Gildehaus Quartier stellen. Du wirst während der nächsten zehn Tage jeden Morgen einem unserer Gesellen berichten. Dieses Gildemitglied wird deine Beherrschung der grundsätzlichen Konzepte des Arbeitens mit Glas prüfen. Wenn du Gesellenkönnen beweist, wirst du die Erlaubnis erhalten, dich auf die Prüfung vorzubereiten.«
»Bitte, Meister, ich kann nicht im Gildehaus wohnen.«
Parion erwiderte eiskalt: »Du kannst nicht? Welche Art Ungehorsam ist das?«
»Kein Ungehorsam, Meister.« Sie antwortete prompt, aber er sah, wie sie schwer schluckte, wie sie einen raschen Blick zu ihren Begleitern warf. Sie war nicht so gefasst, wie sie ihn glauben machen wollte. »Ich bin hier in Brianta an andere gebunden. Ich kann nicht vollkommen frei handeln.«
»Und doch kommst du als Bittstellerin zu uns? Eine Bittstellerin, die nicht bereit ist, ihrem Gesuch gemäß zu handeln?«
»Ich komme als Gildefrau zu Euch, Meister. Aber ich komme auch als Untertanin Morenias. König Halaravilli ben-Jair persönlich hat mir hier in Brianta Verantwortung auferlegt. Ich muss mit Prinzessin Berylina in unserer Pilgerunterkunft; bleiben. Aber ich werde mich allem anderen unterwerfen, was meine Gilde von mir verlangt.«
Halaravilli ben-Jair. Der verfluchte König, dessen eigener Vater Parion in diese bittere Notlage gebracht hatte. Das Haus ben-Jair würde hier im briantanischen Gildehaus keine Befehle erteilen! Morenia hatte dieses Recht verwirkt, als es die unschuldige Gilde vernichtete, als es befahl, dass das prächtige, alte Haus Stein für Stein niedergerissen wurde. Parion würde eher sterben, bevor er ben-Jair nachgäbe. Er würde tun, was auch immer getan werden musste, um den König sich in der Niederlage winden zu sehen!
Geduld, ermahnte Parion sich. Er hatte all diese Jahre gewartet – er könnte noch ein wenig länger warten. Er brauchte nur Geduld… Letztendlich würde er nach Morenia zurückkehren. Letztendlich wäre er wieder in seinem Geburtsland, mit Zugriff und Macht, um den König zu vernichten.
»Also gut«, sagte er und erkannte, dass nur wenige Herzschläge vergangen waren, trotz der Glut seiner Gedanken, trotz des Aufblitzens von Zorn, das durch seine Adern pulsiert war. »Du sollst bei deiner Prinzessin bleiben, bei den Pilgern bleiben. Aber du wirst dich jeden Morgen nicht später als beim Sonnenaufgang im Gildehaus melden. Du wirst dich bei Gesellin Larinda melden, damit sie dein Können prüfen möge.«
»Larinda!« Er hörte die pure Überraschung in der Stimme der Verräterin und widerstand dem Drang zu lächeln.
»Ja, Larinda. Du kanntest sie gut, als du einst mit uns arbeitetest. Wer wäre besser geeignet, deine Fähigkeit zu beurteilen, in unsere Mitte zurückzukehren?«
Er sah Erkenntnis über das Gesicht der Verräterin zucken. Er beobachtete, wie sie schwer schluckte und ihre Hände fest zu Fäusten ballte, ihre von Glasnarben übersäten Finger schützend um ihre Daumen schloss. Sie war keine Närrin. Sie wusste, welches Schicksal Larinda erlitten hatte. Sie wusste, wie hart der frühere Lehrling mit der Verursacherin ihrer Verstümmelung umgehen würde.
Bevor die Verräterin eine Antwort ersinnen konnte, schaute Parion zu Larinda. Selbst ihn überraschte der Ausdruck auf dem angespannten Gesicht des Mädchens, die dort sichtbare, offene Flamme des Hasses. Es erinnerte ihn an den Ausdruck in Moradas Augen, als sie damals erfuhr, dass die Gilde ihr nicht erlauben würde, im Land umherzureisen und ihr Können allen zu zeigen, die eine Glasmalerin anheuern wollten: Morada, die ihr Leben im Dienste der Gilde gegeben hatte, die sich als Ausbilderin bemüht hatte, die Verräterin aufzuziehen, das Mädchen auszubilden, das seinen Schwestern und Brüdern nur grausamen, blutigen Tod gebracht hatte…
Parion schloss einen kurzen Moment die Augen, widerstand der Versuchung, ein Gebet an Gar zu flüstern, den Gott der Rache. Gar käme immerhin zu seinem Recht, gleichgültig was Parion in diesem Augenblick tat, gleichgültig wie er handelte. Gar würde für Parion hier in Brianta alles richten, und für Morada, wo auch immer sie in den Himmlischen Gefilden wandelte.
Er verdrängte seine Gedanken, als wären sie eine bittere Arznei, und hob eine Hand, um Larinda heranzuwinken. Der Gildemeister stellte sicher,
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