Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
kühnes Wesen, der mit der Zuversicht eines Adligen ausschritt, während er seinen kupferfarbenen Blick in der Halle umherzucken ließ. Dann folgte eine Frau mittlerer Größe mit dunklem Haar und dunklen Augen. Er hätte sie vielleicht vollkommen übersehen, wenn sie nicht ein Wickelkind an ihre Brust geschmiegt gehalten hätte. Das Kind schien zu schlafen. Zumindest schrie es in dem totenstillen Raum nicht. Parion widerstand dem Drang, zu den Gefolgsleuten zu blicken. Hatten sie gewusst, dass die Verräterin ein Gefolge mitbringen würde? Hatten sie das Eintreffen dieser anderen erwartet?
Sie ließ sich mit dem Durchqueren der Halle Zeit. Sie musste sich der Tatsache bewusst sein, dass aller Augen auf sie gerichtet waren. Sie musste erkennen, dass alle in dem Raum sie für ihren Verlust verantwortlich machten, dass einige Tod und Verstümmelung in die Waagschale warfen. Sie musste wissen, dass sie als Bittstellerin kam.
Und doch hielt sie sich wie eine Königin.
Sie blieb vor Parion stehen und maß ihn einen langen Moment. Er erinnerte sich an sie als Kind, als die Rebellin, die sich darüber beschwert hatte, Farben mahlen zu müssen, Farbtöpfe umrühren zu müssen. Er erinnerte sich an den Schrecken und das Entsetzen des Tages, an dem Prinz Tuvashanoran starb, der Tag, der sein Leben für immer veränderte. Morada… dachte er, und er konnte sich vorstellen, wie die kühne Ausbilderin neben ihm stand. Gewähre mir die Weisheit, mit dieser zu sprechen. Gewähre mir den Mut zu tun, was getan werden muss.
Noch während er den Gedanken im Geist formulierte, sank die Verräterin vor ihm auf die Knie. Ihr einfacher, grauer Umhang bauschte sich hinter ihr, so schlicht wie das Gewand eines Pilgers. Sie hatte bereits gelernt, dass sich briantanische Straßenprediger bescheiden kleideten. Parion würde sehen, ob sie diese Lektion auf seine Gilde übertrug.
Sie neigte den Kopf, als knie sie vor einem Altar, aber als sie sprach, war ihre Stimme ausreichend kräftig, dass sie überall im Raum gehört werden konnte. »Gildemeister Parion.«
Er zwang sich, ihren Namen auszusprechen, verzerrte die Lippen um die bitteren Silben. »Ranita Glasmalerin.«
»Ich bin dankbar dafür, dass Ihr mich hierhergerufen habt. Ich freue mich, nach all den vergangenen Jahren erneut im Haus meiner Glasmalergefährten zu sein.«
Eine Briantanerin hätte eine Geste hinzugefügt, um ihre Demut zu betonen. Parion merkte, dass seine Finger zuckten, automatisch das Zeichen zur Annahme eines bescheidenen Angebots vollführten. Zumindest hatte das Mädchen ihre Worte in angemessenem Ton gesprochen. An ihrer Formulierung war nichts auszusetzen. Er verlegte sich zähneknirschend auf vage Wahrheiten. »Vieles mag sich im Verlauf von Jahren verändern.« Verräterin. Er konnte sich nicht dazu überwinden, ihren Namen zu wiederholen. »Deine Gilde heißt dich willkommen.«
Er spürte ihren Blick auf seinem Gesicht, und er war sich bewusst, dass sie ihn maß, seinen Zorn abwägte, ihr Risiko hierherzukommen ermaß. Sie entschied sich für eine ernste Antwort. »Das freut mich, Gildemeister. Das freut mich mehr, als ich sagen kann.« Er hörte die Verhaltenheit in ihrer Stimme, sah den Moment, in dem ihre Unterlippe zu zittern begann. Sie unterdrückte die Empfindung rasch und sagte: »Ich möchte Euch meine Begleiter vorstellen, Gildemeister.«
Er widerstand erneut dem Drang, zu den Gefolgsleuten zu blicken, ihre Akzeptanz der zusätzlichen Eindringlinge abzuschätzen. Warum sollte er sich jedoch Sorgen machen? Es war nicht so, als könnte die Gefolgschaft ihre Handprothesen zurückfordern. Er hatte seinen Teil des Handels erfüllt. Er hatte die Verräterin nach Brianta gebracht. Seine Stimme klang jedoch kühl, als er daran dachte, wie diese anderen seine Pläne verderben könnten. »Bitte tu das.«
Sie räusperte sich und hob eine Hand. »Gildemeister, ich stelle Euch einen Mann vor, der die Meisterschaft unseres Handwerks aus eigenem Recht beansprucht. Tovin Gaukler aus Liantine.«
Zumindest erhob der Mann keinen Anspruch auf einen Gildenamen. Aber was für eine Position war Gaukler? Wäre der Mann ein wahrer Morenianer gewesen, hätte sein Name ihn als Händler ausgewiesen. Aber natürlich hatte Parion von den liantinischen Gauklern gehört. Sie taten mehr, als Waren zu verkaufen. Sie arbeiteten in ihrem Land mit allen Arten von Zaubern, spielten mit den Wahrnehmungen der Menschen, brachten sie durch Listen dazu, Dinge zu sehen, die nicht da
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