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Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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lüge nicht… Ich…« Chavit sah sich verzweifelt auf dem Hof um und krümmte sich, als hätte sein Vater bereits mit einer schweren Faust zugeschlagen.
    Der Blick des Jungen fiel auf Berylina. Sie sah, wie er ihr schielendes Auge bemerkte, sah, wie er ihre Hasenzähne registrierte. Sie hatte ihr ganzes Leben lang beobachtet, wie Menschen ihre Andersartigkeit ermaßen, hatte sie sich angesichts ihrer Makel zurückziehen sehen. Sie hatte auf einigen Gesichtern Grausamkeit aufkommen sehen und ohnmächtigen Zorn auf anderen.
    Sie erkannte Chavits Schlauheit, als sich die Augen des Jungen verengten. Sie war mit der zitternden Linie seines Fingers vertraut, als er auf ihr Gesicht deutete. Sie kannte die Hitze der Röte, die sich unwillkürlich über ihre Züge stahl, der Scham darüber, dass sie anders war, dass sie geschädigt war, dass sie falsch, falsch, falsch war.
    »Sie hat es getan!«, rief Chavit. »Sie hat mich gestoßen! Sie hat mich in den Teich gestoßen!«
    Der Vater wandte ruckartig den Kopf, um Berylina anzusehen, und sie rang darum, seinen Blick zu erwidern, die Woge der Scheu, der Scham, des Entsetzens darüber zu überwinden, die sie genauso unfähig machte wie jegliche andere Woge dieser Art, die sie jemals am Hof ihres Vaters überschwemmt hatte. Sie hörte den Mann kaum sagen: »Lüg mich nicht an, Junge. Sie ist ins Wasser gesprungen, um dich zu retten.«
    »Erst nachdem ich um Hilfe rief!« Die Menge murmelte und trat näher heran, und Chavits Geschichte wurde sicherer. »Erst nachdem andere Leute sie sahen. Sie drückte mich zuerst unter Wasser, bevor sie erkannte, dass andere es sehen würden.« Der Junge legte eine Hand auf seine Brust, als leiste er einen Erwachsenenschwur. Seine Finger schabten über seinen Tausendspitzigen Stern, und das Symbol schien ihn neu zu inspirieren. »Bei Mip«, sagte er, und seine Stimme klang fest. »Diese Frau wollte mich töten. Ich schwöre, dass sie das wollte! Im Namen Mips!«
    Berylina wollte erklären. Sie wollte ihnen sagen, dass sie sich irrten. Der Junge hatte Angst. War erschöpft. Erschreckt.
    Aber die Worte waren nicht da. Stattdessen fühlte sie sich von den Dämonen ihrer Kindheit umgeben. Von der verdammten Gehörnten Hirschkuh, die ihre Träume heimgesucht hatte, von der einsamen Gewissheit, dass sie geschädigt war, dass sie gebrandmarkt war, dass sie falsch war…
    Ein Priester trat vor, sein uraltes Gesicht ernst. »Sprich, Kind«, sagte er zu Berylina. »Sage uns, ob dieser Junge die Wahrheit sagt.«
    Berylinas Kehle arbeitete, aber sie konnte keine Worte hervorbringen.
    »Sprich«, sagte der Priester erneut. »Im Namen Mips, sage uns, was hier geschehen ist.«
    Der Nachtigallengesang stieg laut und klar auf, und Berylina wandte jäh den Kopf, suchte die Quelle der Musik. Die Menge musste sie doch gewiss hören! Sie mussten doch sicher wissen, dass Mip unter ihnen war! Sie versuchte, Worte zu formulieren, versuchte, die Sprache am Nachtigallengesang vorbeizuzwängen, aber sie konnte nichts sagen, sie konnte nichts tun.
    »Der Name des Gottes lässt sie erstarren«, hörte Berylina, und sie erkannte, dass die alte Frau erneut sprach. »Mip beschützt uns vor ihrem Übel! Mip beschützt die Gläubigen!«
    Während Berylinas Kehle arbeitete, begann die Menge zu murmeln. Andere Pilger schlugen sich auf die Seite der alten Frau, riefen den Gott des Wassers an. Viele bedeckten ihre Tausendspitzigen Sterne, als ob Berylinas schielender Blick ihre Abzeichen beflecken würde.
    »Mip rette uns!«
    »Mip bewahre uns vor Schaden!«
    »Mip beseitige das Böse!«
    »Sie ist eine Hexe!« Die Stimme der alten Frau erhob sich über die Menge. »Das Mädchen ist eine Hexe!«
    Pater Siritalanu ragte über Berylina auf, als wollte er sie in seine Gewänder aufnehmen, als wollte er sie vor Schaden bewahren. »Unsinn, Frau. Sie ist eine Büßerin, wie ihr alle. Sie ist eine Pilgerin, die Mip unmittelbar ihre Seele dargeboten hat. Sie hat diesen Jungen gerettet!«
    »Sie ist eine Hexe, das sage ich Euch! Sie ist als Hexe gezeichnet. Sie kann den Namen des Gottes nicht aussprechen! Ich klage sie im Namen all der heiligen Pilger in Brianta an! Ich fordere, dass sie vor die Kurie gebracht und als die Hexe verurteilt wird, die sie ist! Ich fordere Gerechtigkeit für alle Pilger in Brianta, für alle Gläubigen, die zu den Tausend Göttern beten!«
    Berylina hörte Pater Siritalanus Proteste. Sie hörte den älteren Priester um Aufklärung bitten, um Rechtfertigungen.

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