Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin
Wassers erwischte den Jungen unvorbereitet, und er glitt auf den Steinen aus. Berylina sah, wie sein Kopf auf die Felsen prallte, und dann drängte das Wasser ihn vorwärts, zwang ihn über die rutschige Oberfläche. Die Regenbögen wölbten sich über dem Jungen gnadenlos in der Luft, tanzten, als bestünde keine Gefahr.
Berylina hörte Mips Nachtigall, der liebliche Gesang durch eine jähe Dringlichkeit verschärft. Ohne bewusst darüber nachzudenken, sprang sie auf und lief auf den Springbrunnen zu. Sie raffte den Saum ihres Caloyagewandes, während sie über den Kreis mit Mörtel verbundener Steine trat, der den Fluss des Springbrunnens umschloss.
Das Wasser war kalt. Erschreckend, bitterlich kalt, selbst an einem solch sonnigen Nachmittag. Es schien die bittere Kälte einer Höhle in sich zu tragen, wie das erstarrte Blut der Erde. Es nahm Berylina den Atem, noch während sie sich zu sagen versuchte, sie müsse vorwärtsgehen, zu der Stelle, wo der Junge unter die funkelnde Oberfläche geraten war.
Ihre Gewänder verfingen sich zwischen ihren Beinen, von den Wirbeln und Strudeln des Teiches erfasst. Ihre Füße glitten in ihren Pilgersandalen aus, und sie verdrehte sich beide Knöchel, während sie darum rang, aufrecht stehen zu bleiben. Trotz ihrer besten Bemühungen, verlor sie den Halt und fing sich mit dem rechten Handgelenk hart ab. Schmerz schoss ihren Arm hinauf, ein glühend heißer Schürhaken, der gegen das eiskalte Wasser anbrannte.
Sie zwang sich, wieder aufzustehen, weigerte sich, sich von dem Springbrunnen besiegen zu lassen. Mip sang zu ihr, ermutigte sie. Seine Töne wurden durch die Dringlichkeit lauter, lauter, und sie wandte sich der Quelle jener verzweifelten Laute zu. »Hier!«, schien der Gott zu rufen. »Du findest den Jungen hier!«
Die Richtung ergab keinen Sinn – das Kind war oben in den Teich hineingeraten. Es gab keinen Grund, warum er zu Berylinas Rechten zu finden sein sollte, in dem relativ ruhigen Bereich, der sich jenseits der Steine erstreckte. Sie drängte vorwärts, ignorierte den Schmerz in ihrem Arm, drehte sich, um in ihren Sandalen aufrecht zu stehen. Ihre Caloyagewänder bauschten sich hinter ihr, aber dann fiel sie hin, und sie wurden vollkommen durchtränkt. Sie zogen sie zum Grund des Springbrunnens.
Als sie sich auf die Stelle zukämpfte, wo sie den Jungen fallen gesehen hatte, wurde Mips Gesang schwächer, als schelte er ihre schlechte Wahl. Sie wandte sich erneut seiner ursprünglichen Richtung zu, und die Nachtigall wurde wieder lebhafter. Berylina tat versuchsweise einen Schritt, und er ermutigte sie. Sein Gesang wurde so lieblich, dass sie ihn an der Rückseite ihrer Kehle schmecken konnte.
Mip gebot ihr. Sie musste ihre menschliche Logik beiseiteschieben, musste ihre Gedanken und Erwartungen ignorieren. Mip kannte Richtig und Falsch. Er kannte Gut und Böse. Er sagte ihr, sie solle durch den Springbrunnen vorangehen, und sie tat es.
Sie stürzte ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Ein Priester lenkte sie ab, rief vom Rand des heiligen Teiches aus etwas. Sie erkannte Pater Siritalanus Gesicht, sah seine Angst davor, dass sie von Sinnen wäre.
Die Strömungen erwiesen sich als stärker, als sie jemals erwartet hätte, verliefen tief unter der Wasseroberfläche. Ihre Knöchel waren zu Steinblöcken gefroren, und ein Fächer eisigen Wassers zog sie zu einer Seite. Als sie erneut stürzte, bohrte sich ihr Tausendspitziger Stern in ihre Seite, und seine Spitzen waren wie bösartige Klauen, ließen die durchdringende Kälte ein.
Sie keuchte und rang um Halt, aber Mips Gesang wurde noch lauter. Sie konnte nicht umhin, ihre Ohren zu bedecken, in dem Versuch, sie vor der sie bestürmenden Musik zu schützen. Diese Bewegung nahm ihr jedoch den Halt an einem Felsvorsprung, und sie tauchte platschend unter die Wasseroberfläche, sank mit dem Kopf vollkommen unter.
Und dann sah sie den Jungen. Er war unter der Oberfläche gefangen, sein Körper in einer Felsnische eingekeilt. Sein Mund war geöffnet, als rufe er um Hilfe, und seine Finger trieben auf dem Wasser wie Tang. Berylina stieß sich zur Oberfläche hinauf und atmete keuchend ein, und dann erkämpfte sie sich erneut ihren Weg durch den Teich.
Ihr Arm schmerzte an der Stelle, wo sie daraufgestürzt war. Ihre Seite brannte von Zeichen ihres Tausendspitzigen Sterns. Ihre Knöchel pochten an den Stellen, wo sich die Sandalenriemen hineingegraben hatten. Und doch zwang sie sich vorwärts, trieb ihr widerwilliges
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