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Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 04 - Die Prüfung der Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mindy L. Klasky
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Sie hörte die Menge rufen. Sie hörte die alte Frau die Geschichte von Jairs Haus erzählen.
    Und dann spürte sie, wie ein Seil um ihre Handgelenke geschlungen wurde. Sie spürte, wir ihr der Tausendspitzige Stern von der Kleidung gerissen wurde. Sie spürte, wie der Wind zunahm, durch ihre durchtränkten Kleider schnitt, als stünde sie nackt auf dem Hof.
    Sie sah, dass Pater Siritalanu zu ihr sprach. Seine Lippen bewegten sich. Er musste ihr wohl sagen, dass sie ins Gefängnis gebracht würde, dass sie in eine Zelle gesperrt würde. Er würde zu ihr kommen, sagte er. Er würde den Priestern erklären. Er würde beweisen, dass sie eine gläubige Frau war. Er würde sie retten.
    Aber sie hatte keine Worte. Sie konnte nicht sprechen. Sie konnte sich nicht über die tirilierende Melodie des Nachtigallengesangs hinweg verständlich machen. Sie konnte sich nicht über Mips Musik hinaus bewegen, selbst als sie aus seinem Tempel geführt wurde, selbst als sie zu der zornigen, alten Frau zurückblickte, die sie angeklagt hatte. Selbst als sie zu dem verängstigten Jungen zurückblickte, zu Chavit, der am Rande des Springbrunnens zitterte, der ihm den Tod gebracht hätte…
    Berylina schwieg, während sie davongeführt wurde, während sie als Hexe abgestempelt wurde, während sie sich dem Willen der zornigen, verängstigten Menge beugte.

 
    9
     
     
     
    Rani biss sich auf die Zunge, während sie sich über den gekalkten Tisch beugte. Ihr Streit mit Mair hatte bewirkt, dass sie zu spät zu ihrem Nachmittagsunterricht im Gildehaus zurückgekehrt war. Trotz ihres Schwurs ihrer Unberührbaren-Freundin gegenüber, hatte Rani es nicht gewagt, Crestman an jenem Tag aufzusuchen – sie musste eine Arbeit fertigstellen.
    Sie hatte am Vorabend ihre Zeichnung Lors skizziert, aber sie merkte, dass sie den Gott der Seide bei Tageslicht kritischer beurteilte. Sein Gesicht schien jetzt irgendwie zu dick, zu blühend, als brauchte er für seinen Wohlstand nicht zu arbeiten. Sie sollte ihn schlanker gestalten, knochiger. Es wäre nur allzu leicht, die Glasstücke mit dem Diamantmesser zuzuschneiden, das sie unter Tovins Anleitung zu handhaben gelernt hatte.
    Sie begann seufzend, einen Teil der Zeichnung auszuwischen. Sie beugte sich weit über den Tisch – sie wollte ihren sorgfältig skizzierten Hintergrund bewahren. Sie hatte Stunden gebraucht, um die Octolaris zu zeichnen, und es freute sie, dass es ihr gelungen war, die Spinnen eher nur anzudeuten, als jegliche tatsächliche Darstellung zu gestalten. Es gab immerhin noch andere Seidenquellen auf der Welt – zum Beispiel seltsame Würmer aus dem fernen Pelia. Nur weil Morenia sein Seidenreich auf der Kunstfertigkeit von Spinnen aufgebaut hatte, bedeutete das nicht, dass sich Lor für seinen Ruhm nur auf Octolaris verließ.
    Ranis Finger zitterten, als sie das Gesicht des Gottes auswischte. Sie hatten in letzter Zeit zu kribbeln begonnen. Sie vermutete, dass das eine Mahnung für fehlende Nahrung war, für die Mahlzeiten, die sie sich versagte, wenn sie nicht im Gildehaus war.
    Selbst jene Mahlzeiten, wenn sie sie einnahm, waren einfach, auf glasierten Tonwaren serviert, die Meister Parion nur für ihren Gebrauch vorgeschrieben hatte. Ihre Vormittage wurden lediglich von einem Klacks Haferbrei erhellt. Das Mittagessen bestand stets aus einem Kanten Brot mit dünner Butter darauf. Das Abendessen bildete eine Schale Brühe mit einem gelegentlichen Stückchen Rübe. Alles schmeckte seltsam – fade, metallisch –, und das warme Wasser, das ihr gewährt wurde, konnte den Nachgeschmack nicht beseitigen.
    Was machte das schon?, versuchte sie sich zu ermahnen. Sie war immerhin für die Prüfung hier.
    Nachdem sie das Gesicht des Gottes ausgewischt hatte, schienen seine Schultern falsch proportioniert. Dann, als sie die Schultern korrigierte, drapierten sich die Ärmel der Gestalt zu dramatisch. Sie korrigierte die Ärmel, war aber dann gezwungen, die Hände neu zu zeichnen. Sie wollte die Finger neu positionieren und merkte dann, dass sie sich nun doch auf den gekalkten Tisch gelehnt hatte, so dass sie die sorgfältig gezeichneten Octolaris verwischt hatte.
    »Verdammt!«, fluchte sie.
    »Mylady!«
    Rani erschrak und fuhr herum, noch während sie Pater Siritalanus erschütterten Tonfall erkannte. »Es tut mir leid, Pater. Ich wollte Euch nicht beleidigen. Es ist nur so, dass…«
    Der Priester unterbrach sie. »Ich war nicht beleidigt!«
    Rani legte ihre Zeichenkohle hin und strich sich

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