Die Gilden von Morenia 05 - Die Meisterschaft der Glasmalerin
Kind war. Er musste schon sechzig Jahre tot sein. Und dem Geruch des aus den Wänden um sie herum hervordringenden Schimmels nach zu urteilen, hatte sich seit seinem Ableben niemand weiter um diesen Bauernhof gekümmert.
Nun, aber jemand musste es doch getan haben, sonst wären die Mauern schon früher zusammengefallen. Jemand musste das Gras vom Eingang zurückgeschnitten haben, die Wälder daran gehindert haben, das Gebäude zu vereinnahmen. Jemand hatte verhindert, dass sich die Lichtung dem Wald ergab, sich wieder der übergreifenden Dunkelheit der Bäume überließ.
Kella erschauderte, als sie daran dachte, wie jene Bäume ihren Umhang packten. Sie hatte ihr ganzes Leben damit verbracht, durch den Wald zu streifen. Sie war an das Gefühl der sich in ihrer Kleidung verfangenden, in ihrem Haar verheddernden Zweige gewöhnt. Bei starkem Wind konnten sie mit erschreckender Geschwindigkeit an ihrem Gesicht vorbeipeitschen. Aber sie hatte noch nie gespürt, dass der Wald mit der Energie angriff, die er heraufbeschworen hatte, als sie auf dem Pferderücken saß. Sie war den forschenden Fingern des Waldes noch nie so ungeschützt ausgesetzt gewesen.
Für einige war es vielleicht schön, auf dem Pferderücken zu reiten, aber sie sah keinen Grund, diese Erfahrung nach dieser seltsamen Nacht zu wiederholen. Es gab keinen Ort, den sie so eilig erreichen musste, keinen Grund, so umherzuhetzen. Immerhin konnte sie vom Pferderücken aus die am Weg wachsenden Kräuter nicht sehen. Sie konnte die Gerüche der sich in der Dunkelheit öffnenden Nachtblumen nicht deuten. Sie würde vielleicht perfekte Kräuter verfehlen, während der Soldat sie Hals über Kopf durch die Wälder führte.
Nein. Wenn der Soldat sie nach Hause gebracht hätte, wäre das Thema »Pferde« für sie erledigt.
Während Kella den Kopf schüttelte, glitt ihre Kapuze zurück. Der Soldat hatte sie ihr gegeben, als sie vor der Hütte abstiegen – die Kapuze und eine Maske. Er hatte schweigend abgewartet, während sie die seidenen Kleidungsstücke untersuchte, und hatte nur genickt, als ihr Gesicht vollständig bedeckt war. Dann hatte er eine Hand fest auf ihren Arm gelegt und sie mit einer Dringlichkeit vorwärts gezerrt, die keinen Widerspruch duldete.
Sie wusste, dass sie, wenn sie sein Gesicht sehen könnte, dieselbe Entschlossenheit erkennen würde, mit der er am Vortag sein Knie in ihre Niere gepresst hatte. Er war ein Soldat auf einer Mission, und er würde sich nicht durch irgendwelche Nichtigkeiten wie Anstand oder allgemeine Höflichkeit davon abbringen lassen. »Stein«, sagte er, und sie hörte das Wort in der Waldnacht kaum. »Knochen. Mondlicht.«
Was? War er von dem nächtlichen Dahinpreschen durch die Bäume verrückt geworden? Plapperte er wild drauflos? Eine Dosis Fieberkraut könnte ihn heilen, aber was sollte sie hier tun?
Als sie sich der Hütte näherten, tauchten zwei mit Kapuzen versehene Gestalten aus der Dunkelheit auf. Kella gewahrte ein Aufblitzen von geschärftem Stahl, und der Atem stockte in ihrer Kehle, als der Soldat sie vorwärts stieß.
Sie kam vor dem mit Kapuzen versehenen Paar stolpernd zum Stehen. »Sprich, Gefolgsmann«, flüsterte einer von ihnen, und Kella fragte sich, was sie sagen sollte. Sie wollte sich zu dem Soldaten umwenden, wollte ihn bitten, für sie zu verhandeln, aber dann dachte sie an sein Flüstern. »Stein«, sagte sie, und ihre Stimme klang fremd in ihren Ohren. »Knochen. Mondlicht.«
Sie konnte sich auf sie gerichtete Augen vorstellen, durch die Mitternachtskapuzen hindurch. Sie stellte sich in der Dunkelheit aufblitzenden Stahl vor, unter dem Mond strahlend weiß, dann von ihrem Blut rot schimmernd. Sie wollte sich umwenden, atmete tief ein, um loszulaufen, aber dann vollführte der Kleinere der beiden eine Geste und rief sie zu sich.
Der Soldat versetzte ihr von hinten einen Stoß, während er sagte: »Steine bleichen im Mondlicht so hell aus wie Knochen.« Die Passworte wirkten bei ihm besser. Die schattenhaften Wächter waren nun beruhigter. Kella war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich erleichtert war, die verfallene Hütte nun betreten zu dürfen.
Sie war mit dem wahnsinnigen Soldaten neben sich gewiss nicht sicherer. Die Wahrscheinlichkeit, die Nacht von seinen Kameraden umgeben zu überleben, war auch nicht größer. Dennoch empfand sie ein leicht prickelndes Siegesgefühl, weil sie eine Prüfung bestanden hatte, weil sie zur Geheimversammlung zugelassen wurde.
Und es war eine
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