Die gläserne Gruft
bestellten dann Kaffee und auch Mineralwasser, bevor ich eine Frage stellte.
»Können Sie uns sagen, Frau Dr. Schiller, was hier alles gefunden wurde?«
»Sicher, das kann ich Ihnen sagen. Auch ich bin überrascht gewesen, als plötzlich ein kleines archäologisches Wunder mitten auf dem Dresdener Neumarkt erschien.«
»Können Sie es genauer erklären?«
»Gern.«
Erst wurden unsere Getränke gebracht, dann begann die Archäologin mit ihrem Vortrag.
»Die Gegend hier war bereits in der jüngeren Bronzezeit besiedelt. Schon der Fluss und die Nähe zur Elbe legten nahe, dass sich die Menschen vom Fischfang ernährten oder auch Flusshandel betrieben. Das war rund 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung. In den folgenden Jahrhunderten passierte nichts. Erst im elften Jahrhundert wurde das Gelände wieder genutzt. Wir haben die Zahl 1170 herausgefunden, dabei ist Dresden erst 1206 urkundlich erwähnt worden. In den folgenden Jahrhunderten fing man an, um dieses Gelände hier, wo wir uns auch jetzt befinden, Siedlungen anzulegen. Im achtzehnten Jahrhundert wurde bekanntlich die Frauenkirche gebaut. Dann entstanden Häuser, es gab Straßen, und Dresden erhielt ungefähr das Gesicht, das es bis zur großen Zerstörung in etwa beibehalten hat.«
»Und es gab diesen Friedhof«, sagte ich.
»Genau, Herr Sinclair. Er wurde jetzt freigelegt.«
»Aus welcher Zeit stammt er denn?«
Dr. Schiller musste einen Moment nachdenken. Sie trank einen Schluck Kaffee. »Ab dem 11. Jahrhundert wurde das westlich der Frauenkirche gelegene Gebiet als Friedhof genutzt. Anhand gewisser Hinweise – die Lage der Toten und die Grabbeigaben – haben wir herausgefunden, dass es sich um slawische Christen handelte. Auf dem Friedhof muss es auch eine Kirche gegeben haben. Wahrscheinlich stand sie dort, wo jetzt die Frauenkirche ihre Heimat hat. Aber der Friedhof lag noch vor den Mauern der Stadt. Dresden wurde ja erst später gegründet.«
»Und der heute von Ihnen freigelegte Friedhof«, fragte Dagmar. »Was ist mit ihm?«
»Der stellt uns vor ein kleines Problem.«
»Wieso?«
»Auf dem Friedhof errichtete man im 13. Jahrhundert ein Hospital mit dem Namen St. Materni. 1429 wurde es von den Hussiten zerstört und östlich der Frauenkirche wieder aufgebaut. Dieser Friedhof kann zum Hospital gehört haben. Es wurden nicht nur Männer und Frauen unter den Toten gefunden, sondern auch Kinder. Das haben die anthropologischen Untersuchungen ergeben.« Dr. Schiller hob die Schultern. »Diese mittelalterlichen Bestattungen sind recht schlicht durchgeführt worden. Das änderte sich in der Barockzeit des siebzehnten und angehenden achtzehnten Jahrhunderts. Da wurde ein aufwendiger Totenkult betrieben. Die Leichen waren mit Totenkronen, goldenen Ringen und silbernen Kruzifixen ausgestattet. Man hat diesen Friedhof auf den anderen gelegt. Es ist uns sogar gelungen, einige Namen der Verstorbenen herauszufinden. Es war wirklich eine Sensation, aber jetzt passierte der Mord. Warum?«
Darauf wusste keiner von uns eine Antwort. Harry übernahm das Wort. »Ich habe mit jemandem telefoniert, der auch die Protokolle des Falles kennt. Vor dem Mord hat dieser Pitt Sawisch noch mit seinem Kollegen Müller über ein ungewöhnliches Geräusch gesprochen. Er redete von einem Klirren. Können Sie sich darunter etwas vorstellen?«
Carola Schiller schaute uns überrascht an. »Nein, das kann ich nicht. Was sollte denn dort geklirrt haben? Man denkt natürlich sofort an Glas, aber das gibt es dort nicht. Nur Steinmauern, die wir haben freilegen können.«
»Er hat sich aber nicht geirrt.«
»Das glaube ich Ihnen sogar. Nur bin ich in diesem Moment überfragt. Ich weiß auch nicht, wer diese Gestalt gewesen ist, die der Zeuge gesehen haben will.«
»Hat man denn das Glas gefunden?«, fragte ich.
Dr. Schiller schwieg. Sie senkte den Blick. Dann zuckte sie die Achseln. »Ja, das hat man«, gab sie zu. »Man fand das Glas, obwohl ich es mir nicht erklären kann.«
»Liegt es noch dort?«
»Ich glaube schon.«
Nun ja, das war immerhin eine Spur. Aber auch Harry Stahl hatte eine Idee. Er hielt damit nicht vor dem Berg. »Sie sprachen vorhin von wertvollen Grabbeigaben, Dr. Schiller. Ich nehme an, dass diese Dinge auch Dieben nicht verborgen bleiben und sie anziehen, denn damit lässt sich Geld machen.«
»Daran haben wir auch gedacht.«
»Und?«
Sie winkte ab. »Aus diesem Grunde haben wir das Gelände bewachen lassen, wenn niemand da war. Die gefundenen
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