Die gläserne Gruft
nennen, denn ich bin keine Historikerin.«
»Das brauchen Sie auch nicht«, sagte Harry Stahl. »Sie werden sicherlich im Archiv nachforschen können, und da vier Augen mehr sehen als zwei, könnte Frau Hansen sie begleiten.«
Dr. Schiller schwieg. Sie dachte nach und drehte sich schließlich zu Dagmar hin um.
»Was sagen Sie dazu?«
Harry hatte seine Partnerin schon vorbereitet. »Ich bin dabei, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Nein, nein, wie könnte ich.«
»Dann sollten wir uns trennen. Die Männer werden etwas anderes Vorhaben«, meinte Dagmar lächelnd.
Wir sahen es der Archäologin an. Der weitere Verlauf gefiel ihr nicht, doch sie konnte auch nichts dagegen tun. Wir ließen auch nicht gelten, dass das Archiv geschlossen hatte. Bei ihren Beziehungen war es ein Leichtes, hineinzukommen.
Als wir das Gelände verließen, fing es bereits an zu dämmern...
***
Ecki Müller wünschte sich, die letzten Tage aus seiner Erinnerung zu streichen. Er hatte sich bisher immer für einen harten Typen gehalten, doch der Mord an seinem Kollegen Pitt Sawisch war ihm verdammt unter die Haut gegangen. Er hatte ja diesen Killer gesehen, wobei er noch immer nicht genau wusste, was er da eigentlich gesehen hatte. Ein Mensch, ein Schatten, ein Geist...?
Jedenfalls hatte es den Toten gegeben, und daran gab es nichts zu rütteln. Sein Kollege würde nie mehr in seinem Leben aufstehen und mit ihm Dienst schieben.
Dienst?
Darüber hatte er dann nur lachen können. Es war ihm unmöglich gewesen, den Job auch weiterhin durchzuziehen. Auch wenn einige Kollegen sich hatten krankschreiben lassen, er jedenfalls hatte sich Urlaub genommen. Er hatte einfach allein sein wollen, was ihm natürlich auch nicht gelungen war, denn immer wieder waren die ermittelnden Beamten zu ihm gekommen und hatten Fragen gestellt.
Er war der Zeuge. An ihn mussten sie sich halten. Und er konnte ihnen nichts anderes sagen als auch bei der ersten Befragung. Er hatte nichts Konkretes gesehen, nichts, was man hätte detailliert beschreiben können, nur diesen Schatten.
Und kurz danach hatte er seinen geköpften Kollegen gefunden. Für ihn war es schrecklich gewesen. Das Bild würde er nie in seinem Leben vergessen, Egal, wie Müller sich auch bemühte. Er bekam es nicht aus den Gedanken weg. Ob nun Tag war oder Nacht, es ging ihm immer wieder durch den Kopf.
Seine Wohnung lag nicht weit vom Bahnhof Dresdener Neustadt entfernt. In dieser Umgebung war in den letzten Jahren viel geschehen. Man hatte abgerissen, aufgebaut, renoviert. Kneipen und Geschäfte hatten sich in den Häusern angesiedelt, und so war die Gegend zu einer Szene geworden, in der sich auch die jungen Leute wohl fühlten.
Die Straßen hatten ein neues Pflaster bekommen, und die engen Gassen mit auf alt getrimmten Laternen verbreiteten einen Charme, dem sich kaum jemand entziehen konnte.
Um möglichst viele Mieter in die neuen oder renovierten Häuser zu bekommen, verteilten sich dort nur kleinere Wohnungen. Die Mieten waren entsprechend hoch und für Familienväter kaum zu bezahlen. Also lebten viele Singles hier oder kinderlose Paare, die ein recht gutes Einkommen hatten.
Das Einkommen war bei Ecki Müller zwar nicht so hoch, aber er lebte allein. Eine dreijährige Beziehung war vor kurzem zerbrochen, und er war heilfroh gewesen, nicht verheiratet gewesen zu sein. So konnte jeder sein Geld behalten und war seines Weges gegangen.
Die Wohnung lag im ersten Stock. Um sie zu erreichen, musste der Besucher durch eine Passage gehen, in der sich rechts und links kleine Läden befanden.
Modegeschäfte, ein Porzellanladen, ein Teekontor, eine Kaffee-Bar, ein Geschäft, in dem Lampen und Kleinmöbel verkauft wurden, und auch ein Antiquitätenhändler, der sich darauf spezialisiert hatte, alte Stiche Dresdener Stadtansichten zu verkaufen.
Über den Geschäften lebten die Mieter in den recht kleinen Wohnungen, die natürlich auch möbliert gemietet werden konnten. Dafür hatte sich Müller entschieden.
Ein großer Raum. Darin eine winzige Küche, die eingebaut war und durch zwei hohe Türen verschlossen werden konnte, dazu ein Bad, aber kein Schlafzimmer. Das war für Ecki Müller nicht nötig, denn er schlief im Wohnraum. Die Ausziehschlafcouch war dafür perfekt.
Die Passage lief in eine Sackgasse aus. Genau dort befand sich eine Nostalgie-Kneipe, in der es ein stets frisch gezapftes Radeberger gab. Das Lokal zählte Ecki Müller zu seinen Stammgästen, denn ein sauber serviertes Pils,
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