Die gläserne Gruft
sagte ich.
Harry winkte ab. »Du hast ja Recht. Aber wir haben es nicht getan und können uns jetzt nicht beschweren.«
Ich hatte die Außenfassade der in der Nähe liegenden Kneipe gesehen und machte Harry darauf aufmerksam.
»Willst du mal fragen?«
»Ja.«
»Okay, dann warte ich.«
Ich betrat die Kneipe, die wohl ein Treffpunkt für Jung und Alt war. Das erkannte ich an der Mischung der Gäste. Irgendwo verließ ich mich wieder auf mein Gefühl. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass Ecki Müller nicht zu Hause war. Nach den Ereignissen hatte er sicherlich keine lange Reise unternommen.
Zwei junge Kellnerinnen bedienten die Gäste, und hinter der Theke standen auch zwei Personen.
Der Mann spülte Gläser, während die Frau sie voll schenkte und sich dabei mit den Gästen an der Theke unterhielt. Ich wollte kein Bier trinken und hatte nur eine Frage.
Der Wirt schaute mich nicht eben erfreut an, denn über die Störung war er alles andere als begeistert.
»Was wollen Sie?«
»Nur wissen, ob Sie Ecki Müller kennen.«
Er warf mir einen kurzen und prüfenden Blick zu. »Ja, den kenne ich. Was wollen Sie denn von ihm?«
»Es ist eine dienstliche Angelegenheit. Ich habe schon geläutet, aber er öffnet nicht.«
Der Wirt schickte seinen Blick durch das Kneipenfenster. Bestimmt sah er Harry Stahl vor der Tür stehen. »Ja, ich kenne ihn. Er ist ab und zu Gast hier.« Er schien Vertrauen zu mir gefasst zu haben und fuhr fort: »Bis vor einer halben Stunde ist er noch hier gewesen und hat einige Bierchen getrunken.«
»Und dann?«
»Wollte er in seine Wohnung.«
»Und da ist er auch hingegangen?«
»Ich denke schon.«
»Leider hat er nicht geöffnet.«
Der Mann war mit dem Spülen der Gläser fertig. Er trocknete seine Hände ab. »Vielleicht ist er eingeschlafen. Oder guckt die Sportschau, und dabei will er nicht gestört werden.«
»Das kann es auch sein. Danke.«
Ich verließ das Lokal wieder und wurde von Harry Stahl mit einem fragenden Blick empfangen.
»Er müsste eigentlich in seiner Wohnung sein«, sagte ich.
»Und warum meldet er sich nicht?«
Ich hob die Schultern. »Keine Ahnung.«
»Was sagt dein Gefühl, John?«
»Nicht unbedingt etwas Gutes.«
»Ja, das meine ich auch.«
Bestimmt dachten wir beide an den Henker, aber keiner von uns sprach seine Gedanken aus.
Ich wollte noch mal schellen. Aber nicht bei Müller, sondern woanders. Wir mussten zumindest ins Haus gelangen. Mein Finger näherte sich bereits dem Knopf, als mich Harry anstieß. Er stand besser zur Haustür als ich, und ich drehte den Kopf.
»Was ist denn?«
»Im Flur! Verdammt, das sind Schreie!«
Ich wagte im nächsten Moment nicht mal, Luft zu holen. Etwas Kaltes kroch wie Schleim meinen Rücken hinab, als ich die Schreie ebenfalls hörte. Es war nicht festzustellen, ob sie von einer Person oder von mehreren Leuten abgegeben worden waren. Jedenfalls drangen sie durch die Tür, die plötzlich so schnell aufgerissen wurde, dass wir beide erschraken und Harry sogar zurückwich.
Nicht weit genug!
Die Frau stürmte aus dem Haus. Obwohl wir sie nur für einen kurzen Moment sahen, wirkte sie so, als kämen bei ihr die Panik und die Fluchtgedanken zusammen.
Harry Stahl hatte den Aufprall zum Glück abfedern können, sonst wäre er umgerissen worden. Er klammerte die ältere Frau an den Schultern fest und schüttelte sie durch.
Ihr Gesicht war eine einzige Maske. Die Gefühle hatten sich darin festgefressen. Sie wollte schreien, reden, alles Mögliche, aber nur die Lippen bewegten sich.
Für mich war klar, dass die Frau etwas Schreckliches gesehen haben musste, sonst wäre sie nicht in diesen Schockzustand hineingeraten. Während Harry sich noch mit der Bewohnerin beschäftigte, nutzte ich die Gunst der Stunde und stieß die Tür, die wieder langsam zufiel, so weit auf, dass ich das Haus betreten konnte.
Ecki Müller wohnte in der ersten Etage.
Okay, da wollte ich hin.
Mir fiel auf, dass der Flur sehr sauber war, aber nicht ruhig, denn ich hörte aus den oberen Etagen die Schreie der Mieter, die wahrscheinlich durch die Reaktion der Frau alarmiert worden waren.
Ich flog die beiden Absätze hoch, erreichte die erste Etage und sah auch eine Tür.
Es musste die Wohnung von Ecki Müller sein.
Was ich sah, war grauenhaft.
Auf der Türmatte vor der Schwelle lag sein Kopf!
***
»Sie glauben also, dass dieser Mord etwas mit der Vergangenheit zu tun hat, Dagmar«, sagte Dr. Carola Schiller, als sie aus dem Wagen, einem
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