Die gläserne Gruft
überfallen wird?«
»Dann bleibt ihr zurück«, sagte ich und meinte damit die beiden Frauen. Ich deutete auf ein Haus, dessen Fenster an der Breitseite erleuchtet waren. Es war ein Restaurant.
»Ich gehe mit ihnen«, sagte Harry.
»Gut.«
Carola und Dagmar murrten zwar nicht, aber sie sahen auch nicht eben begeistert aus.
Professor Harald Pflug und ich machten uns auf, den Pastor zu suchen. Wir gingen auf die Kirche zu, die auch in der Dunkelheit zu sehen war, weil das Licht sie wie ein heller Farbanstrich traf.
Schon nach ein paar Metern blieben wir stehen. Trotz des kühlen Wetters hatten sich an einem kleinen Brunnen eine Hand voll Jugendlicher versammelt. Sie vertrödelten hier ihre Zeit und überlegten, ob sie ins Kino gehen sollten oder nicht.
»Nach Dresden habe ich keinen Bock.«
»Willst du woanders rein?«
»Nein, gar nicht.«
Ihre Diskussion verstummte, als wir bei ihnen anhielten. Ich übernahm das Wort, grüßte freundlich und erkundigte mich, ob ich von ihnen eine Antwort bekommen könnte.
»Worauf denn?«
»Wir suchen den Pastor.«
»Ach, meinen Vater?« Ein Mädchen, das sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, stellte die Frage. Es schob sich jetzt vor und trat eine Kippe aus.
Ich schätzte sie auf 16 Jahre. Sie trug Jeans, eine kurze Jacke, die wohl nicht genug wärmte, und hatte auch den Kragen hochgestellt. Das blonde Haar war unnatürlich hell gefärbt, und an den Rändern ihrer Nasenlöcher glitzerten Ringe.
»Ja, den würden wir gern sprechen.«
»Am Samstag?«
Ich hob bedauernd die Schultern. »Es lässt sich leider nicht vermeiden. Wir werden ihn bestimmt nicht lange stören.«
»Der sitzt vor der Glotze. Meine Alten hocken am Samstag immer davor. Aber sie werden nicht gern gestört.«
»Es wird sich in Grenzen halten.«
»Gut, dann geht mal die Straße weiter hoch. Von hier aus gesehen das vierte Haus auf der rechten Seite. Es liegt in einem Garten.«
»Danke«, sagte ich.
Danach stiefelten wir los. Der Weg führte leicht bergauf. Zwischen den Häusern war noch Platz, aber das Ziel konnten wir nicht verfehlen. Das Haus mit dem flachen Dach war mehr breit als lang. Ein Jägerzaun schirmte das Grundstück zur Straßenseite hin ab. Um auf das Gelände zu kommen, mussten wir eine niedrige Holztür aufdrücken. Hinter ihr lag ein Plattenweg, der uns zum Haus hinführte und einen winterlich traurig aussehenden Vorgarten durchschnitt.
Kurz bevor wir das Haus erreichten, wurden zwei Außenleuchten hell. So sahen wir die hellbraune Haustür und daneben ein Fenster mit einem Außengitter.
Der Name Wächter stand an der Tür.
Ich schellte. Aus den Rillen einer Sprechanlage wehte uns die Stimme entgegen.
»Bitte, wer sind Sie?«
Diesmal übernahm der Professor das Wort. Er meldete sich mit seiner gesamten Dienstbezeichnung und grinste, als sehr schnell geöffnet wurde.
»Der Pastor ist eben ein Mann, der anderen Menschen noch vertraut«, erklärte er.
»Dabei hätten wir auch Bluffer sein können.«
Wir betraten das Haus und standen in einer recht geräumigen Diele. Der Fußboden war gekachelt. Es gab einen großen Durchgang in den Wohnraum, aus dem wir die Stimme eines großen deutschen Entertainers hörten, dessen Name mir im Moment nicht einfiel.
Der Pastor war uns bereits entgegengekommen. Er hatte es sich gemütlich gemacht und einen dunkelroten Jogginganzug übergestreift. Die Farbe erinnerte mich an Ochsenblut.
»Pastor Wächter?«, fragte ich.
»Ja, mein Name ist Rico Wächter. Was kann ich für Sie tun?«
Ich schätzte ihn auf 40. Sein Gesicht zeigte einige Falten, und das braune Haar wuchs bis dicht über seine Ohren. Unter der Jacke spannte sich ein Bauch, und die Augen in seinem Gesicht schauten uns fragend an.
Wir stellten uns vor. Der Pastor wollte uns in den Wohnraum bitten, doch wir lehnten ab.
»Es wird bestimmt nicht lange dauern«, sagte ich.
»Gut, dann lassen Sie uns in mein Arbeitszimmer gehen. Es ist gleich die nächste Tür.«
Er ging vor und ließ uns eintreten, nachdem er das Licht eingeschaltet hatte. Es war ein recht kleiner Raum, übersät mit Akten, Büchern und Papieren. An den freien Stellen einer Wand hingen Zeichnungen von Kindern.
Der Pastor setzte sich so hinter seinen Schreibtisch, dass er für uns nicht durch einen Computer verdeckt wurde, und faltete seine Hände. Allerdings nicht, um ein Gebet zu sprechen, sondern um eine Frage zu stellen. Er schob auch eine kleine Schreibtischleuchte zur Seite, die aussah wie ein
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