Die gläserne Gruft
Sträuchern verborgen, die den Weg einrahmten.
Dann entstand innerhalb der Dunkelheit eine Bewegung. Man konnte sie als einen schwerfällig tanzenden Schatten bezeichnen, der sich ihnen näherte.
Beide zogen jetzt ihre Waffen und richteten die Mündungen in die Dunkelheit.
Die Bewegung näherte sich ihnen. Sie nahm Gestalt an und besonders eine bestimmte Höhe.
Es war der Henker. Er trug sein Beil. Er bewegte es, sodass die Klinge matt schimmerte. Normalerweise hätten sie ihre Blicke nicht von dieser Waffe gelöst, aber etwas anderes war schlimmer.
Der Henker hielt auch seine andere Hand besetzt. Seine Linke umfasste das Gelenk von Carola Schiller, deren Körper über den Boden schleifte, weil der Henker sie hinter sich herzog.
Bei diesem Anblick hatte Dagmar das Gefühl, ersticken zu müssen. Sie stellte sich vor, dass Carola ihren Kopf bereits verloren hatte, aber Sekunden später sah sie, dass dies nicht der Fall gewesen war. Der Henker hatte sie nur niedergeschlagen, aber jetzt schleifte er sie wie einen Sack hinter sich her.
»Geh zurück!«, forderte Harry.
»Und du?«
»Ich muss es versuchen!«
Dagmar Hansen wusste, was ihr Partner vorhatte. Sie würde ebenfalls schießen, obwohl sie nicht daran glaubte, dass eine Kugel den Henker stoppte. Auch wenn sie aus geweihtem Silber bestand, denn er war keine stoffliche Gestalt. Ein Geschoss konnte auch durch seinen Körper hindurchschlagen.
Harry legte auf den Henker an. Er war nicht zu verfehlen. Selbst in der Dunkelheit nicht. Stahl hätte gern sein Gesicht erwischt, aber das war am schlechtesten zu treffen. So senkte er die Mündung etwas und zielte auf die Brust.
Auch Dagmar war jetzt schussbereit.
Harry drückte ab.
Er hörte den Knall des Abschusses.
Entweder Sieg oder Niederlage. Mehr gab es nicht. Er setzte voll auf Sieg.
Und er hatte getroffen. Der Henker hätte... ja, er hätte, aber er tat es nicht. Er ging weiter, denn er hatte die Kugel aus geweihtem Silber geschluckt. Er war jemand, der sich zwischen den Welten bewegte und sowohl die Stofflichkeit als auch die Feinstofflichkeit beherrschte.
»Es klappt nicht, Harry!«
Stahl feuerte noch einmal.
Wieder sah er den Treffer, doch er erzielte keine Wirkung. Der Pesthenker aus der gläsernen Gruft ging einfach weiter und schleifte auch die menschliche Beute hinter sich her.
Mit einer würde er sich nicht zufrieden geben. Er würde sich alle holen.
Harry war zurückgewichen. Auch seine Partnerin stand nicht mehr an der gleichen Stelle. Zwar hielt Dagmar noch ihre Waffe in der Hand, aber sie schüttelte nur den Kopf. Es reichte auch nicht, dass sie zu den Psychonautinnen gehörte. Das dritte Auge auf ihrer Stirn zeigte sich nicht. Um es zu aktivieren, musste es schon um andere Dinge gehen.
Sie blieben in der Nähe des Grabes. Es war zu sehen, welches Ziel der Henker hatte. Er steuerte das Grab der Anette von Leuben auf dem direkten Weg an. Man brauchte nicht groß zu raten, dass er es zu einem Sterbeplatz machen würde.
Dagmar und Harry kamen sich in dieser Lage so verdammt hilflos vor. Keiner wagte es, den Henker anzugreifen. Ihre stärkste Waffe hatte versagt. Mit bloßen Händen würden sie kaum etwas erreichen können.
Der Wind brachte die kalte Luft mit, die über den Sterbeplatz hinwegwehte. Eine perfekte Begleitung für den Tod einer jungen Wissenschaftlerin.
Carola Schiller war nicht bewusstlos. Sie und der Pesthenker waren nicht mehr weit von der Richtstätte entfernt, als Dagmar und Harry das leise Stöhnen hörten.
»Der will sie bei vollem Bewusstsein köpfen!«, flüsterte Dagmar. »Mein Gott, das kann man doch nicht zulassen!«
Sie wollte sich nach vorn werfen, aber Harry zerrte sie zurück.
»Nein!«
»Aber wir...«
»Noch ist es nicht so weit.«
Es hörte sich an, als würde er sich eine Chance ausrechnen, nur glaubte Dagmar daran nicht. Es gab keine Chance mehr. Nicht gegen diesen Pesthenker, der den Körper der Frau jetzt leicht anhob und nach vorn schleuderte.
Carola Schiller rutschte über den Grabrand hinweg und blieb dann auf der Fläche liegen.
Der Henker stand vor ihr. Er schaute auf sie nieder. Er sah einen zuckenden Körper und vernahm auch das leise Wimmern, aber das störte ihn nicht. Er war jemand, der seinen Weg ging und keine Gnade kannte.
Aber er sah noch mehr. Am Ende des Grabes stand der Stein. Und er besaß die verglaste Öffnung, in der die Totenkrone lag. Genau sie und keine andere war seine Beute.
»Ist das eine Chance?«, flüsterte
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