Die Glasblaeserin von Murano
präsentierte ein Bild, das einen blonden Botticelli-Engel zeigte, der vor dem Himmelstor Trompete blies. Leonora stand auf und trat näher heran. Sie hatte sich geirrt. Der Engel trug Jeans und eine enge Weste. Und er war eine Glasbläserin. Die Idee war gut, doch das Bild war so schauderhaft kitschig, dass Leonora lachen musste. Sie drehte sich zu den drei todernsten Gesichtern um.
«Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe. Sie wollen also eine Art... Werbekampagne starten, bei der es, nun ja, um mich gehen soll?»
«Nicht nur um Sie, Signorina Manin, sondern auch um Ihren berühmten Vorfahren.» Mit einer geübten Handbewegung wendete Chiara das Blatt Papier. «Darf ich vorstellen: die Serie Manin.»
O nein!
Die Bilder und Slogans sprangen Leonora förmlich an. Fotos, Entwürfe für Verpackungen, Schlagzeilen in Riesenlettern: «Das Glas, auf dem Venedig ruht.» - «Unser Glas - Spiegel des wahren Venedig.» - «Manin-Glas, echte venezianische Glasbläserkunst seit 400 Jahren.» Und immer wieder der blonde Botticelli-Engel (augenscheinlich sie selbst) und dazu das Bild eines dunkelhaarigen Kindes in Wams und Spitzenkragen.
«Leider existiert kein Porträt von dem erwachsenen Corrado Manin. Er floh mit seiner Familie aus dem Palazzo der Manins, als er zehn Jahre alt war, daher gibt es nur dieses Bild, das Teil eines Familienporträts ist.» Chiaras Schulterzucken schien weniger ihr Mitgefühl mit dem Schicksal des kleinen Jungen auszudrücken als vielmehr ihr Bedauern darüber, dass sie ohne eine geeignete Darstellung zurechtkommen musste. Leonora betrachtete eingehend das verschlossene, ernste Gesicht des kleinen Jungen, der später so große Berühmtheit erlangt hatte. Für das Werbefoto hatte man ihn abermals von seiner Familie getrennt. Leonora schämte sich, dass sie weder etwas von dem Porträt noch von diesem Abschnitt seines Lebens gewusst hatte.
Wie haben diese beiden Typen, die aussehen wie der «Commedia dell'Arte» entsprungen, es nur geschafft, mehr über Corradino herauszufinden als ich? Ich muss mir einfach mehr Mühe geben.
Chiara plapperte unablässig weiter. «Unsere Werbekampagne stützt sich im Wesentlichen auf zwei Faktoren: Corrado Manin, der Mozart der Glasbläserkunst, verleiht den Produkten dieser Glashütte das Image von Beständigkeit - von langer, guter venezianischer Tradition. Und Sie, Signorina, sind seine Nachfahrin - und die einzige Glasbläserin in Venedig. Sie stehen für das moderne Design, die Avantgarde - aber natürlich immer vor dem Hintergrund Ihrer Familiengeschichte.»
Mir wird gleich schlecht.
Leise, aber bestimmt sagte Leonora zu Adelino: «Das ist ganz einfach obszön!»
Adelino stand auf und zog sie hinüber zum Fenster. Sein «Scusi» richtete sich an die beiden Mailänder, die, gerade über ein Layout gebeugt, eine angeregte Debatte führten und Leonoras Abneigung gegen ihre Kampagne nicht zu bemerken schienen. Zweifellos planten sie die nächste Attacke auf den Namen Manin.
Dann wandte sich Adelino in beschwichtigendem Ton an Leonora. «Leonora mia, bitte beruhigen Sie sich. Verstehen Sie denn nicht - so laufen die Geschäfte seit Jahrhunderten. Die Händler von Rialto und auch Corradino selbst hätten alles getan, um sich einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten zu verschaffen. Da war kein Platz für künstlerische Empfindsamkeit. Sie waren Geschäftsleute - so wie ich.» Als er ihren Widerstand spürte, ergriff er bittend ihre Hand. «Leonora, ich habe mich übernommen. Ich habe Anteile an ausländischen Firmen gekauft und hohe Kredite aufgenommen, um mein Geschäft wieder zu einem florierenden Unternehmen zu machen. Die Fondaria ist in finanziellen Schwierigkeiten.»
Leonora blickte hinüber zu den Türmen des Markusdoms. Wie hatte sie sich noch vor wenigen Wochen, als sie die Stelle hier antrat, an dem Anblick erfreut! Jetzt plötzlich erschien ihr die geliebte Stadt wie eine Schlangengrube, in die man sie zur Belustigung aller stürzen wollte. Die Lagune lag still und heiter im Sonnenlicht da, doch in Leonoras Herz herrschte eine tiefe Traurigkeit, die all das überschattete.
Mir ist, als triebe ich schiffbrüchig auf dem Meer.
«Was werden Ihre Leute davon halten?», fragte Leonora, die wusste, dass sie es nicht übers Herz bringen würde, Angelino mit seinen Schwierigkeiten im Stich zu lassen. «Immerhin bin ich doch ein Neuling, eine blutige Anfängerin.» Sie musste daran denken, wie sich Robertos kalte Feindseligkeit wie
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