Die Glasblaeserin von Murano
kräftigen Atemzug, und hatte mehr Glück, doch auch das zweite Herz wanderte in den Eimer. Etwa eine Stunde lang arbeitete sie konzentriert und merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Als ihr jemand auf die Schulter tippte, schrak sie zusammen.
Es war Adelino. «Leonora mia, für mich ist es Zeit, nach Hause zu gehen, also sollten Sie wohl auch langsam Feierabend machen.» Wie üblich klangen seine Worte unwirsch und freundlich zugleich. Doch als er sah, womit sie beschäftigt war, bekam seine Stimme einen warmen Klang. «Ach, das trügerische Glasherz. Molto difficile, vero?»
Leonora nickte ein wenig verlegen. Adelino bückte sich und kramte in dem Eimer, der mittlerweile voller Fehlstücke war. «Aber die sind doch nicht schlecht! Was hatten Sie denn an dem hier auszusetzen?», fragte er erstaunt. Er hielt ihren letzten Versuch hoch. Ihm erschien er makellos, doch Leonora runzelte die Stirn. Es war schon merkwürdig - wenn es um Alessandro ging, war sie sehr nachsichtig und nur allzu bereit, zu glauben, dass ihre Beziehung gut lief. Doch in der Fondaria erlaubte sie sich diese Nachsicht nicht und erstrebte nichts weniger als Vollkommenheit. Selbst wenn ein Stück gelungen schien, forschte sie nach verborgenen Rissen, einer nicht ganz klaren Farbe oder einem fehlerhaften Brechungswinkel.
«Es ist noch nicht richtig gut», sagte sie deshalb auch jetzt.
Adelino richtete sich lächelnd auf. «Immer eine Perfektionistin, nicht wahr? Übrigens bin ich froh, Sie noch hier anzutreffen. Ich wollte Ihnen das hier zeigen.» Er wedelte mit einem Hochglanzfoto. «Das ist die erste Zeitungsanzeige. Sie soll am Mittwoch erscheinen.» Mit vorgetäuschter Gelassenheit schloss Leonora die Ofentür. Sie bereitete sich innerlich auf den Anblick des Bildes vor, das sie mit einem Schlag ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken würde. Dann nahm sie das Foto und studierte es sorgfältig. Es war gar nicht schlecht. Ironischerweise hatten sie als Erstes das Bild gewählt, auf dem Leonora als Tizians «Junge Frau bei der Toilette» posierte. Mit einer Hand umfasste sie eine dicke Strähne ihres offenen Haares, in der anderen hielt sie eine Glaskugel. Das Spiegelbild in ihrem Rücken zeigte die modern gekleidete Leonora, wie sie sich in der Fondaria über den Ofen beugte. Lange blickte sie auf das Foto.
Adelino, der glaubte, dass es ihr nicht gefiel, sagte zögernd: «Leonora, das Ganze ist eine wirklich geschmackvolle, erstklassige Werbekampagne. Wir werden alle davon profitieren. Übrigens», fuhr er fort, als Leonora ihn endlich anblickte, «habe ich mich dazu entschlossen, Sie zur maestra zu machen. Ich finde, Sie sind so weit. Nun können Sie auch Artikel für den Verkauf herstellen.»
Leonora fiel aus allen Wolken und blickte ihn prüfend an, um zu sehen, ob er sich vielleicht über sie lustig machte. Sie war doch noch gar nicht so lange hier! Wie konnte sie vom Lehrling direkt zur Maestra aufsteigen?
«Adelino, seien Sie bitte ganz ehrlich zu mir: Welche Rolle spielt dabei die Manin-Kampagne? Ich freue mich natürlich darüber, Maestra zu sein, aber ich möchte wegen meiner Leistung und nicht wegen dieser Anzeigen befördert werden.»
Adelino nahm das Foto wieder an sich. «Nun, gewiss kommt es der Werbekampagne zugute, wenn Sie hier Maestra und nicht nur ein Lehrling sind. Allerdings würde ich Ihnen das Angebot nicht machen, wenn ich Sie nicht für fähig hielte. Wenn Sie in den letzten Wochen etwas über mich gelernt haben, dann doch wohl, dass mir der Ruf meines Geschäfts über alles geht. Ich würde es nie zulassen, dass minderwertige Ware diese Glashütte verlässt.» Adelino holte noch einmal das letzte Herz, das sie gemacht hatte, aus dem Eimer. «In diesem Stück steckt Liebe und Können, das sieht man. Es hat eine klare Form und Farbe - es ist gut. Sträuben Sie sich doch nicht so, schließlich ist es eine große Chance für Sie!»
«Ich weiß, und ich bin Ihnen auch sehr dankbar», lenkte Leonora ein. «Ich werde Sie nicht enttäuschen.» Als sie sich umdrehte, um ihre Jacke zu holen, steckte Adelino das Herz heimlich in seine Jackentasche.
«Und nun räumen Sie bitte dieses furchtbare Durcheinander auf. Und ein bisschen zügig, wenn ich bitten darf, damit ich abschließen kann.» Angesichts seiner aufgesetzten Schroffheit mussten sie beide lächeln.
Er hatte das gläserne Herz gerade noch rechtzeitig gerettet, denn Leonora öffnete jetzt die Tür des Ofens, kippte den Inhalt des Eimers
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