Die Glasfresser
Flasche heraus. Er füllt sie am Wasserhahn auf. Sagt Morana, er soll den Mund aufmachen, Morana macht den Mund auf. Flug schiebt ihm nacheinander und in kleinen Stücken, sodass er langsam kauen kann, vier Kekse zwischen die Lippen. Dann sagt er ihm, er soll den Kopf nach hinten beugen. Morana beugt den Kopf nach hinten. Flug öffnet die Flasche und träufelt ihm langsam Wasser in die Kehle. Ein bisschen läuft über, doch Morana reagiert nicht.
Mit einem Zipfel der Decke säubert Flug ihm das Gesicht, dann sagt er ihm, er soll zurück in seine Zelle. Ich möchte bemerken, dass es stinkt, dass er sich in die Hosen gemacht haben muss, doch ich bin still. Flug steckt ihm erneut den Stofffetzen in den Mund, bringt das Klebeband an. Die Zelle wird wieder geschlossen, wir machen uns bereit, nach draußen zu gehen.
Um neun Uhr abends treffen wir uns vor einer Rosticceria in der Via Notarbartolo. Auf dem Weg dorthin gehe ich durch die Via Nunzio Morello. Wo die Explosion stattgefunden hat, sind schwarze Spuren an der Hauswand. Das Rollgitter von Nunzio Morello ist ersetzt worden, das Metall sieht wie Alufolie aus.
Wir kaufen uns etwas zu essen, gehen noch ein bisschen herum und setzen uns dann auf die Bänke der Piazza Campolo. Um uns herum der spärliche Samstagabendverkehr; hier und da ein Licht, hier und da eine Stimme.
Strahl und Flug diskutieren über die Entführung. Morana, sagen sie, ist die niederste Stufe der Entführung einer Person. Genau das, was wir brauchen, um die Phänomenologie einer solchen Aktion zu analysieren. Weil es uns nur um das Essenzielle geht, werden wir kein Lösegeld fordern. Später werden sich die Dinge ändern, sagen sie.
Während ich ihnen zuhöre, fühle ich mich kraftlos. Die Hände, die Augen, der Mund. Ich drehe mich um und lege die Arme wie ein Nest auf die Lehne der Bank; den Kopf, seitlich, mitten hinein. Das Hirn. Das Ei im Nest.
Der nächste Tag ist ein Sonntag. Ich könnte länger schlafen, doch ich wache früh auf und verlasse das Haus. Die Leute gehen um diese Zeit zur Messe oder besuchen Verwandte. Ich gehe zu dem entführten Morana. Ich hole mir nicht die Hostie, bringe ihm keinen Kuchen mit. Als wir alle drei im Keller sind, macht Flug die Zelle auf, lässt Morana herauskommen und sich aufrecht hinstellen. Er nimmt ihm das Klebeband nicht ab. Er lässt ihn mit kleinen Schritten bis zur Wand zurückgehen und den Rücken anlehnen, sagt ihm, er soll gerade stehen. Dann, ohne Gewalt, übt er mit der Hand
Druck auf seine Brust aus. Stark, stärker. Als wolle er sie ihm durchstoßen, doch ohne ihn zu schlagen, nur indem er die Kraft auf einen Punkt konzentriert. Morana bewegt sich nicht, aber er bekommt feuchte Augen, sie brennen im elektrischen Licht. Dann hört Flug auf, holt Luft; fängt wieder mit der gleichen Aktion an, indem er diesmal Druck auf die Stirn ausübt, still und unblutig. Ein Gewaltausbruch interessiert ihn nicht, keine dynamische Aktion. Keine Tätlichkeiten. Er arbeitet lieber mit Intensität, mit Konzentration.
Durch den Druck verformt sich die Stirn. Morana wehrt sich nicht. Die Welt will jetzt dies. Sie will Druck, und Morana widerspricht der Welt nicht. Nach drei Minuten lässt Flug von ihm ab und holt wieder Luft. Dann bringt er ihn dazu, sich nach vorn zu beugen, in einem Winkel von neunzig Grad, stellt sich neben ihn und übt Druck auf seinen Hals und Rücken aus. Er versucht ihn zusammenzufalten, ihn zu schließen. Mehrere Minuten lang übt er weiter Druck aus, bis er merkt, dass Moranas Beine zittern, dass er sich nicht mehr halten kann, dass er wegen des Drucks auf Brust und Bauch keine Luft mehr bekommt. Da verstärkt Flug den Druck, presst seinen Kopf immer weiter nach unten. Ich sehe Flugs offene Hand auf Moranas Nacken, die Finger gespreizt, die Handfläche, die auf der Krümmung der Knochen liegt; das Rückfedern des zusammengedrückten Körpers. Ich gehe einen Schritt vor und halte seinen Arm fest.
»Das reicht jetzt«, sage ich.
Flug dreht sich um, sieht mich an. Vermindert den Druck, hört auf; tut einen Schritt zurück, seine Stirn schweißnass.
»Was machen wir?«, frage ich.
»Was meinst du damit?«, fragt Flug zurück.
»Was machen wir hier mit ihm?«
»Wir befragen ihn.«
»Wir fragen ihn gar nichts.«
»Seinen Körper.«
»Was?«
»Wir fragen seinen Körper.«
»Was soll er uns denn sagen?«
»Nichts.«
Er wischt sich mit dem Unterarm den Schweiß ab, die Haut glänzt im Schein der Glühbirne.
»Er soll uns
Weitere Kostenlose Bücher