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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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Flug, dann ich, dann Strahl. Es ist drei Uhr. Wir verabreden uns für sieben. Flug wird als Erster da sein und mit seinem Nachschlüssel hineingehen. Dann folgen Strahl und ich: Wir treffen uns vorher in der Villa Sperlinga.
    Als ich nach Hause komme, lege ich mich ins Bett. Ich empfinde kein Mitleid. Ich sollte welches empfinden, aber ich empfinde keins. Doch ich spüre, mit welcher beinahe perfekten Schärfe ich alles erkenne. Sogar in der Müdigkeit, durch die Müdigkeit wird alles klar. Meine Beziehung zu den anderen. Meine Beziehung zu mir selbst.
    Ich sinke in einen tiefen Schlaf und schlafe zwei Stunden lang. Um halb sechs werde ich wach, irgendetwas bewegt sich zwischen meinen Waden. Ich hebe den Kopf vom Kissen: Die Krüppelkatze schnüffelt am Stoff meiner Hosen, legt mir eine Pfote auf den Schenkel, kommt und setzt sich auf meine Brust.
    »Nimbus«, sagt sie.
    Ihr Fell ist borstig, immer noch irgendwie grau, die Augen bedeckt mit verkrustetem Schleim, die Pfoten dürr, der Schwanz angesengt: Und doch ist sie von einer verblüffenden Schönheit.
    »Hallo«, sage ich und lege den Kopf wieder aufs Kissen.
    »Wie geht’s dir?«, fragt sie mich.
    »Ich habe geschlafen.«
    »Dann ist der Nachmittag also ruhig verlaufen.«
    Ich nicke.
    »Du bist schwanger«, sagt sie zu mir.
    Ich verstehe es nicht, doch ich stelle keine Fragen. Dann verstehe ich es: Ja vielleicht, ich bin schwanger.
    »Du wolltest doch sowieso einen Sohn, nicht?«
    In ihrer Stimme mischen sich Fell und Schorf, Krankheit und Wunden. Dunkel und kehlig strömt sie aus dem Mund heraus, klingt zuerst belegt und bleibt dann ganz weg, erholt sich aber gleich und kommt wieder, ausgedörrt, sich verzweigend.

    »Du hast einen Bauch außerhalb des Körpers«, fährt sie fort, »einen Brutkasten für Frühgeburten. Aus Beton und Holz. Und Eierkartons. Wer weiß, wo all diese Eier geblieben sind.«
    »Das habe ich mich auch gefragt«, sage ich.
    Sie sitzt in aufrechter Haltung auf mir und bedenkt mich mit einem abwägenden Blick. Auch sie bewertet mich. Sie schließt ihren Gedanken ab und fährt fort.
    »Im Inneren dieses doppelten Bauchs«, sagt sie, »in seinem Kokon aus Decken und Exkrementen, da ist dein Sohn.«
    »Warum aus Exkrementen?«
    »Was meinst du, was da drinnen geschieht, Nimbus? Dass sich aus Moranas Bauch Schmetterlinge befreien? Dass die Scheiße sich in ihm in Jasmin verwandelt?«
    Das Wort, das sie benutzt, lässt mich zusammenfahren. Für mich selbst verbessere ich es immer. Ich sage Kot, ich sage Exkremente. Ich sage Kacke. Oder ich finde etwas anderes, das ich sagen kann. Scheiße, nein.
    »Als wir weggegangen sind, ging es ihm gut«, sage ich.
    »Es muss dir nicht schlecht gehen, um Exkremente hervorzubringen: Du bringst jeden Tag welche hervor, und es geht dir gut.«
    Ich denke an meinen Bauch, der ein Kind hervorbringt, das Exkremente hervorbringt. Ich merke, dass ich in eine Sackgasse gerate.
    »Also«, fährt sie fort, »die Schwangerschaft geht voran: Das Kind schläft, macht sich schmutzig und wartet darauf, geboren zu werden.«
    »Bald gehe ich zu ihm«, sage ich.
    »Und was gedenkst du zu tun?«
    »Ich weiß nicht. Er ist entführt. Man wird sehen.«
    »Was soll das heißen: Man wird sehen? Was ist los? Ist die strategische Leitung dabei, dich auszugrenzen?«
    »Nein. Ich gehöre zur strategischen Leitung. Vielleicht teile ich einige nebensächliche Entscheidungen nicht, aber über die grundsätzlichen Entscheidungen herrscht absolutes Einvernehmen.«

    »Was für eine schöne Prosa, Nimbus! Wirklich schön!«
    Welchen Unterton die spitze Bemerkung genau hat, wird mir nicht klar, doch ich verstehe, dass es eine spitze Bemerkung ist. Ich spüre ihren Sarkasmus und fühle mich beschämt.
    »Erkläre es mir: Ist da irgendetwas, von dem du dich distanzierst?«, fragt sie mich.
    »Das habe ich dir schon gesagt. Es gibt einige Entscheidungen, die ich nicht voll und ganz teile, das ist alles.«
    »Du duldest sie.«
    »Ich dulde sie. Und ich habe Vertrauen in die Genossen.«
    »Aber du hast nichts damit zu tun, richtig?«
    »Ich weiß, dass ich darin verwickelt bin.«
    »Aber still und leise«, sagt sie. »Es läuft nicht, wie es soll, und du gleitest ab.«
    Aus dem fast kahlen Hals steigt ein Gurgeln auf, eine flüssige, kochende, drückende Wut, die sich in die Stimme mischt und sie weniger tonlos macht.
    »Du kannst es dir nicht erlauben«, sagt sie, schiebt den Kopf auf mich zu und starrt mich aus blinden Augen an. »Du kannst es

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