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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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noch weiter nach oben, wäscht ihn bis zur Brust und unter den Achseln. Er trocknet ihn ab, säubert auch sein Gesicht. Die Krusten haben sich vervielfacht, bei jedem Reiben gehen sie auf; um den Mund herum und auf der Stirn bleiben ein paar dunklere und ein paar hellere Flecken; auf den helleren lassen sich die Fliegen und Mücken nieder. Flug bringt Morana dazu sich auf den Boden zu legen, und beginnt mit der Arbeit.
    Er drückt seine Stirn gegen seine Beine, lange. Er lässt ihn sich zusammenkauern, mit dem Kopf gegen die Knie, setzt sich auf seinen Rücken, presst seinen Kopf noch tiefer. Er lässt ihn sich so an die Mauer setzen, dass ein Knie mit der Außenseite anliegt; dann lässt er ihn den Kopf zwischen die Knie pressen, die Knöchel unten mit der Leine zusammengebunden, und drückt gegen das freie Knie, quetscht den Kopf zusammen. Morana hat Mühe zu atmen. Als er nach hinten ausbricht, um Luft zu holen, und dabei den Schwarm aufscheucht, der unablässig über ihm kreist, ist das kein Aufbegehren: Er schnappt nur nach einem Mundvoll Sauerstoff, wie ein ertrinkendes Tier.
    Als ich zu Hause aus dem Aufzug trete, bleibe ich auf dem Treppenabsatz stehen. Der Eingang ist durch eine große Holzplatte versperrt, eine Art flachen, breiten, dunkelbraunen Sarg, der auf dem Fußboden liegt. Aus einer der beiden Längsseiten stehen kleine Metallzylinder unterschiedlicher Länge heraus, wie Pfeifen einer Miniaturorgel. Bei dem Sarg knien zwei Männer, jeder in einem blauen Overall über einem verschwitzten Pullover. Sie fahren mit der flachen Hand über die Oberfläche, horchen sorgfältig daran, studieren die kleinen Zylinder, richten sie ein, lassen sie herausschnellen, regulieren den Mechanismus. Als sie das
Ganze mit enormer Anstrengung hochheben und es zwischen die Türpfosten wuchten, bis es in den Türangeln richtig verankert ist, steht der Stein jenseits der Schwelle und betrachtet die Neuanschaffung zufrieden.
    Die Panzertür ist seine Art, die Gefahr rational einzudämmen, ihr vernünftig zu begegnen und dem Mythos von Verantwortung und Sicherheit treu zu bleiben. Einer Zeit, die Risiken hervorbringt, widersetzt sich der Stein, indem er Blätter verzinkten Blechs zwischen dickes massives Holz schieben und überall Scharniere und Riegel anbringen lässt; mit der Tür erhebt er ein Gebet gegen jedes Eindringen.
    Nach mehrmaligem probeweisen Öffnen und Schließen, bei dem der Stein auf jeden von der Bewegung der Tür erzeugten stillen Windstoß mit einem Einatmen dieser guten Luft, dieser ehrlichen Luft, dieser verantwortungsvollen und sicheren Luft reagiert hat, übergeben die beiden Handwerker ein paar Blätter mit Bedienungsanleitungen, verabschieden sich in zwischen den Zähnen durchgepresstem Dialekt, laden sich den alten Sarg auf die Schultern und beginnen langsam, immer noch kehlig sprechend, die Treppe hinunterzugehen.
    Am nächsten Tag, einem Sonntag, schaue ich zur Mittagszeit mit dem Stein fern. Die Schnur macht nebenan Hausaufgaben mit dem Lappen. Draußen ist ein schöner Sonnentag. Ohne mich dem Bildschirm zu nähern, rieche ich die Haut von Corrado, ein rechtschaffener Geruch. Italienisch und sonntäglich, nachmittäglich, der Geruch, der unter den Kleidern entsteht, die man vom frühen Morgen an trägt, wenn die Moleküle langsam nachlassen, aber doch noch eine Kohäsion bewahren. Ich nehme den Geruch der Gerechtigkeit wahr, dann fragt mich der Stein, wie es mir geht.
    Ich drehe mich um. Er sitzt auf der Couch, das Päckchen MS in der Nähe. Er spielt mit seinem Ehering, schiebt ihn nach oben bis zum Fingernagel, dann zurück in die Vertiefung zwischen den Fingern. Er weiß nicht, was tun. Mir fällt der große Feigenbaum auf der Piazza Marina ein. Seine Kletterwurzeln, die Zweige. Ich
beobachte weiter den kleinen Zweig aus Fleisch, über den der Stein seinen Ehering gleiten lässt.
    »Mir geht es gut«, sage ich.
    »Willst du reden?«
    Das ist in der Tat die richtige Frage, denke ich. Denn ja, gewiss, ich will reden, ich will immer reden, für alle Zeiten, weil ich, wenn ich rede, etwas erzeuge, doch vor allem, weil ich, wenn ich rede, etwas verhindere . Das Problem ist der Gesprächspartner. Mit dir, mit euch, will ich nicht reden.
    »Ja«, antworte ich. »Lass uns reden.«
    »Dann schieß los.«
    »Womit?«
    Er schwätzt ins Blaue hinein, kann es aber nicht lassen.
    »Alles in Ordnung in der Schule?«, fragt er.
    Ich zucke mit den Schultern, als wolle ich irgendetwas verscheuchen. Ich weiß,

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