Die Glasfresser
nichts sagen«, wiederholt er.
In der Zwischenzeit ist Morana wieder hochgekommen. Seine Gesichtshaut ist rot. Nicht gerötet. Rot. Strahl lässt ihn sich setzen, befreit ihn vom Klebeband und vom Knebel, gibt ihm zu essen, gibt ihm Wasser. Morana schluckt, ringt nach Luft, beugt sich nach einer Seite und übergibt sich. Strahl holt aus dem Karton Zeitungspapier und macht sauber. Morana steht auf, holt Luft, ohne sich zur Schau zu stellen, ohne Melodramatik. Strahl bringt den Knebel und das Klebeband wieder an, lässt ihn rückwärtsgehen, klemmt seine Füße in die Zelle, schließt ab.
Wir gehen nach draußen, immer einer nach dem anderen. Wir treffen uns in der Villa Sperlinga wieder und setzen unseren Weg bis zum Giardino Inglese fort. Wir passieren eine kleine Steigung, gehen an dem ersten Brunnen mit Wasser vorbei und erreichen den zweiten, der leer und tief ist, sodass man vom Weg nicht in sein Inneres sehen kann. Wir klettern hinein und setzen uns in die Höhlung, verborgen zwischen den welken Blättern und dem Unrat, wo die Schlupfwinkel des schlängelnden Getiers sind, das Schmutzwasser trinkt und die zerbröckelnden Blätter frisst. Jetzt sollten wir reden, sollten versuchen zu verstehen; oder still dasitzen und auf das Getier warten. Ich hebe ein trockenes Blatt auf, betaste die Nervatur, versuche aber, es nicht zu zerbröseln. Ich lasse es wieder zwischen die anderen fallen.
Die Liturgie der Zerstörung, der ich beigewohnt habe, besteht nicht aus Tritten und Faustschlägen, sondern aus Dichte und Druck. Eine schwarze Säule, die nach unten drückt, verbiegt und zusammenpresst. Morbide Gewalt. Sanfte Gewalt. Die Konzentration als Zerstörung. Moranas Körper, die Zartheit seines unbewussten Schmerzes. Unsere Fähigkeit, Böses zu tun.
Niemand spricht, die Versammlung im trockenen Bauch des Brunnens verläuft stumm, zwischen Schlangengetier, das unsichtbar den Raum ädert.
Am Tag danach betrachten wir den leeren Platz Moranas. Die nackte Bank: Im Moment ist er nur abwesend. An den nächsten Nachmittagen holen wir ihn aus der Zelle, legen ihn auf eine Seite, sorgen dafür, dass er sich zusammenkauert, und beginnen von zwei Seiten Druck auszuüben: zwei von der Seite des Rückens, einer von der Seite der Beine her. Immer in Stille. Wir wissen instinktiv, was zu tun ist. Nach dem gleichzeitigen Druck gegen Rücken und Beine lassen wir ihn noch andere, immer extremere Haltungen einnehmen. Dann sagen wir ihm, er soll etwas essen, säubern ihn von Erbrochenem und Exkrementen, aber nur oberflächlich, ohne ihn je gründlich zu waschen. Er wehrt sich nicht; ab und zu sieht er uns an, aber sein Blick hat keine Bedeutung.
Nach ein paar Tagen wird aus Moranas Abwesenheit ein Fehlen. Kein sentimentales - das wäre unlogisch -, sondern ein konkretes. Er mag dumpf und bedeutungslos sein, aber normalerweise ist er immer da. Die Lehrer fragen, niemand weiß etwas. Es vergeht ein weiterer Tag, und die ganze Klasse wird zum Direktor einbestellt. Wir werden darüber informiert, dass man bei Morana zu Hause angerufen habe. Seit einigen Tagen - die Eltern, sagt der Direktor, könnten nicht genau angeben, seit wann - sei Morana nicht nach Hause gekommen. Man habe die Polizei benachrichtigt, und nun begännen die Nachforschungen. Uns, seine Klassenkameraden, bitte man um nützliche Informationen. Doch niemand weiß etwas: Morana existiert nicht, hat nie existiert. Ein Jahr lang hat er das Unbehagen verkörpert, von dem jeder den Blick abwendet. Er war in der Klasse, ja, aber niemand hat seine Telefonnummer, niemand hat ihn je außerhalb der Schule getroffen, um mit ihm zusammen wegzugehen oder Fußball zu spielen. Eine Brandstelle im Klassenfoto: ein kleines Loch an der Stelle des Kopfes.
Uns wird bewusst, dass wir nicht viel Zeit haben, dass wir aufmerksam bleiben müssen. An den nächsten beiden Tagen geht nur Flug in den Viale delle Magnolie. Wir wissen, dass er sich zwei, drei Stunden dort aufhält; wenn wir ihn morgens in der Klasse treffen, macht er nur kurze Andeutungen. Am Samstag,
eine Woche nach der Entführung, treffen wir uns erneut im Keller, wobei wir getrennt ankommen und jeder darauf achtet, welchen Weg er nimmt. Er ist voller Fliegen, und als Flug die Zelle aufmacht, kommt ein Schwarm Mücken heraus. Morana wird immer magerer. Flug befreit ihn von Klebeband und Knebel, gibt ihm etwas zu essen. Er hebt seine Arme hoch und säubert mit einem nassen Tuch seinen Bauch und Rücken. Er schiebt den Pullover
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