Die Glasfresser
Morana halten. Er nimmt eine Polaroidkamera, schaut durchs Objektiv, löst aus; das Bild, das sich herausbildet, ist dunkel, doch man kann etwas erkennen: Moranas Kopf, der sich leicht auf die Brust senkt. Strahl legt das Foto beiseite, dann füllt er eine weitere Flasche mit Wasser und lässt sie ihn trinken. Morana bekommt schlecht Luft, er reagiert nicht mehr auf das, was Flug zu ihm sagt, er verliert langsam das Bewusstsein. Das Wasser kommt ihm gluckernd hoch, rinnt ihm über Kinn und Hals. Flug zieht ihn in die Mitte des Raums, nimmt die Decke, legt sie um ihn, deckt ihn ganz zu. Die Form mit den Händen ertastend, kniet er sich mit einem Bein auf den Hals, auf den Knochen in der Vertiefung zwischen Brustbein
und Kinn; so bleibt er, mit dem Knie, das Druck ausübt, zehn Minuten lang. Dann steht er auf. Er hält ein Ohr an die Decke, horcht eine ganze Minute lang; er positioniert den Körper noch einmal neu, verrückt ihn, bewegt die Arme; die Decke hebt und senkt sich unter kurzen Atemstößen. Da übt Flug erneut Druck auf Moranas Kehle aus, diesmal mit beiden Knien. Es dauert nicht lange, bis der Körper eine Regung zeigt: abgehackt, unbewusst. Flug gibt Strahl mit einem Zeichen zu verstehen, sich hinter ihn zu setzen; Strahl geht näher heran, sucht mit den Händen Moranas Brust, springt darauf. Ich stehe da und sehe sie an: Im Kampf gibt es keinen Kampf. Wir zielen aufs Herz, doch das Herz ist nicht da. Der Körper bietet keinen Widerstand; aufs Herz zielen ist nur eine Phrase. Flug und Strahl drücken Moranas Körper zusammen, sie verschließen ihn noch einmal in sich selbst. Sie deformieren ihn still.
Ich folge Flugs Zeichen und setze mich auf den Bauch, quetsche ihn auf den Boden. In der Regungslosigkeit nehme ich einen Rest von Bauchatmung wahr: Ich erhöhe den Druck und lösche sie aus. Wir bleiben eine Weile so, ich kann nicht sagen, wie lange. Ich nehme wahr, wie unsere Gerüche sich vermischen. Sie sind stark, gut. Ab und an zieht einer von uns sich zusammen und verstärkt den Druck. Wenn die Muskeln wehtun, lässt er wieder locker. Wir sind miteinander verbunden wie ein Knoten. Eingeschlossen in den Knoten, brüten wir einen Toten aus. Einen einfachen Toten. Den einfachen Toten schlechthin. Wir brüten ihn nicht aus, wir gebären ihn: Moranas toter Körper kommt aus unseren lebenden Körpern heraus. Wenn die von der Militanz auferlegte Zurückhaltung es uns nicht verböte, müssten und würden wir am liebsten weinen vor Rührung. Vor Freude und vor Schmerz. Denn wir haben den Ort gefunden, wo alles zusammenkommt und sich offenbart. Wir töten: Wir sind fähig zu töten.
Als wir aufstehen, hat sich alles verkleinert. Meine Hände sind winzig geworden. Mit winzigen Händen hebt Flug einen Zipfel der Decke hoch, bleibt ein paar Sekunden so, lässt ihn wieder fallen. Mit winzigen Händen beginnt Strahl die Zelle abzubauen; er
legt den Knebel beiseite, das Klebeband, die Flasche, die Brotreste, die Kekse. Sammelt alles auf, macht sauber. Nachdem er gegangen ist, wird er alles auf den Müllplatz in der Via Liguria werfen. Nach Strahl werde ich gehen; dann, ich weiß nicht, wann, wird Flug gehen, der es übernimmt, die Leiche verschwinden zu lassen. Bevor ich den Keller verlasse, trete ich an die Decke heran und hebe ebenfalls einen Zipfel hoch. Ein Auge ist geschlossen, das andere halb geöffnet. Die Gesichtszüge sind ruhig. Die Flecken um die Lippen herum haben sich aufgelöst. Hierher wird Hesekiel nicht kommen, um zu prophezeien. Ich lasse die Decke wieder fallen, stehe auf und weiß: Egal, was geschieht, von Moranas Tod werde ich mein Leben lang zehren.
Nachts, gekrümmt im Sessel eingeschlafen, träume ich, dass die Schnur und der Stein mich die Stellungen des Alphastumm einnehmen lassen. Sie springen abrupt von einer Position zur anderen - das Alphastumm eines Stotterers. Der Stein entfernt sich, die Schnur macht allein damit weiter, mich zu formen. Sie fasst mich am Nacken und lässt meinen Kopfhin- und herschlagen, sie nimmt einen meiner Arme und streckt ihn nach vorn, schließt meine Finger halb, und ich muss damit ins Leere greifen, dann lässt sie mich die Hand öffnen, mich mit ihr an einer Luftwand reiben und, weiter noch, dabei die Beine beugen, die Schultern langsam nach hinten biegen. Ich versuche es zu verstehen, doch es gelingt mir nicht.
Am nächsten Tag in der Schule sagt uns Flug, dass wir reden müssen. Wir warten die Pause ab und gehen auf die Piazza De Saliba. Er
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