Die Glasfresser
erzählt, dass er gestern gewartet hat, bis es Nacht war. Er hat Moranas Leiche in einen großen Rucksack gesteckt, zusammen mit der Decke, und hat sich alles auf die Schultern geladen. Auf der Straße war niemand. Er ist zur Villa Sperlinga gegangen. Er hat den Rucksack abgesetzt, die Leiche und die Decke herausgeholt. Er hat Spiritus darauf verteilt; hat versucht, die Leiche anzuzünden, doch sie brannte nicht. Er hat es noch einmal versucht, dann noch einmal. Sie brannte nicht. Es war halb fünf.
Er stand im Dunkeln, weit weg von der Straße, doch mit der Zeit kamen immer mehr Autos vorbei. Er hat noch einen Versuch unternommen, die Leiche brannte nicht. Vielleicht wegen der Feuchtigkeit, oder der Spiritus war nicht gut. Also hat er die Leiche hinter dem Beet unter den Büschen verstaut. Er hat die Decke eingepackt und ist gegangen. Das heißt, erklärt er uns, dass die Nachricht sehr bald herauskommen wird.
Das scheint eine Prophezeiung zu sein. Wir gehen zurück in die Klasse, und der Direktor und mehrere Lehrer kommen. Ein Durcheinander, eine Lehrerin weint, auch ein Lehrer. Wir gehen hinaus auf den Gang, die Türen der anderen Klassen öffnen sich, und überall herrscht Verwirrung, Verzweiflung.
Am Nachmittag müssen wir zurück in die Schule, sie wollen mit uns reden. Als wir ankommen, diskutieren die Lehrer untereinander. Sie sagen, Morana sei an Herz-Kreislauf-Versagen gestorben. Er habe anomale Verletzungen am ganzen Körper. Anomale Verletzungen. Als wäre er angefahren worden. Aber er sei nicht angefahren worden. Die Beerdigung werde nicht gleich stattfinden, man müsse erst verstehen, was geschehen sei. Wo und wie. Mit Sicherheit sei er getötet worden. Man vermute, es habe etwas mit den Ereignissen zu tun, die in den letzten Monaten in der Schule vorgefallen seien. Niemand in Moranas Familie stelle ein politisches Angriffsziel dar, erst recht kein finanzielles. Also sei es wahrscheinlich, dass Morana irgendetwas entdeckt habe. Vielleicht ohne es zu wollen. Ohne es zu merken.
Wir sollen reden, sagen sie und wenden sich mit gläsernen Stimmen an uns, wir sollen erzählen. Uns an irgendetwas erinnern, jede Kleinigkeit kann wichtig sein.
Auf dem Heimweg gehe ich an der Via Sciuti vorbei und weiter bis zum Viale delle Magnolie. Ich komme vor dem Tor an, bleibe auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Als ich wieder aufbreche, ist es dunkel, abgesehen von dem wenigen Licht, das aus den unteren Stockwerken kommt. Oft muss ich den Gehweg verlassen, weil die Wurzeln der Magnolien sich an vielen Stellen nach oben geschoben und den Zement aufgerissen haben. Kurz
bevor ich erneut in die Via Sciuti einbiege, sehe ich in einer Pfütze aus hellem Licht am Fuße einer Magnolie Wurzeln in der Form eines weiblichen Körpers mit dem Bauch einer Schwangeren.
Zu Hause sitzt der Lappen im Wohnzimmer und spielt mit Knete. Er macht bunte Figuren und reiht sie auf der Armlehne auf. Im Fernsehen beginnt der Almanacco del giorno dopo mit seiner langsamen, von Flöten gespielten Ballade und dem Reigen monströser Menschen - dem Mann, der die Languste am Schwanz hochhebt, jenem, der sich eine Rispe Weintrauben in den Mund steckt, jenem mit dem Bündel Heu auf der Schulter, jenem, der aus dem Trinkschlauch säuft, dem tanzenden Zwerg, dem Viehschlächter und dann dem halb nackten Alten mit dem weißen Bart, der Hesekiel ähnelt, die weißen Flügel gespreizt und die Sanduhr in der Hand. Wenn der Almanacco beginnt, ist der Fernseher aus dem siebzehnten Jahrhundert, sein mechanisches Innenleben ist organisch, prismenförmige Holzstangen, die sich in Zahnräder fügen, und in Öffnungen rutschende Zinken. Aus dem Almanacco tönt die Melodie der bösen Spieluhr; darin ist der Teufel bei der Arbeit.
Die Ansagerin ist blond und streng. Streng sagt sie, welcher Tag morgen ist, sagt, welcher Heilige Namenstag hat, sagt die Daten von Mond und Sonne an, den Sonnenaufgang und den Sonnenuntergang. Sie sagt, dass 1978 in diesem Jahrhundert das letzte Mondjahr mit dreizehn Mondumläufen ist. In jedem Jahrhundert gibt es sechs davon, sagt sie. Oder auch weniger. Dreizehn Monde bedeuten emotionale Instabilität, Auflösung des Denkens. Die menschliche Sensibilität geht zugrunde: Aus Wahrnehmungen werden Visionen, aus Ahnungen Albträume. Während hinter der Ansagerin die steinernen Gesichter von Mond und Sonne einander folgen, reiht der Lappen seine Figuren auf der Armlehne auf: eine arg mitgenommene schwarze Katze, einen Vogel mit
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