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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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gibt mir zu verstehen, dass ich an der Reihe bin.
    »Und damit das geschieht«, sage ich also, »muss man festgenommen werden.«
    »Ja«, bestätigt er, ohne sich zu bewegen. »Die Festnahme ist das, was uns von der Zeit und vom Raum trennt.«
    Er wird immer müder, jemand, der im Exil der Geschichte war und der sich bald endlich wird befreien können.
    »Vergiss nicht«, sagt er langsam, die einzelnen Silben betonend, »dass das Ziel von alledem die Niederlage ist.«
    Er hatte es gesagt. Das war etwas, das er verstanden und verbreitet hatte. Nicht gewinnen können und wollen. Den Sieg nur rhetorisch anvisieren, als Blendwerk, und in der Zwischenzeit die perfekte Niederlage kultivieren. Perfekt. Damit die Niederlage perfekt ist, muss der Feind perfekt sein. Wir haben ihn perfekt gemacht: Jetzt können wir verlieren.
    »Wann wird die Festnahme erfolgen?«, frage ich.
    Er hebt den Kopf, greift nach dem Borsalino und setzt ihn sich auf.
    »Es hat keine Eile, Genosse. Das dauert noch eine Weile. Mit Sicherheit nach dieser Aktion.«
    Er steht vom Mäuerchen auf, kommt mir ganz nahe, wir schauen in das Schwarz auf dem Grund des Brunnens, wo das Morgenlicht sachte versinkt. An der Wand kann man noch die Löcher sehen, die wir vor zwei Monaten gemacht haben. Während der Lichtschein verstohlene Bewegungen im Unkraut erhellt und der Autolärm sich verstärkt, schiebt Flug seinen Mund an mein Ohr.
    »Wir haben 1978, und die Realität ist schon erschöpft«, sagt er mit wirrem Atem. Dann gibt er mir ein Zeichen, dass es Zeit ist zurückzugehen.
    Auf dem Weg sagen wir nichts. Im Kopf jedoch vervielfache ich bei jedem Schritt »Ich erkläre mich zum politischen Gefangenen«, den Satz, in dem sich alles verwirklicht, durch den die Freiheit
des gefangenen Kämpfers beginnt: durch den wir definitiv freigesprochen werden.
    Wir kommen im Viale delle Magnolie an, gehen still hinunter in den Keller. Wir sprechen auch nicht, als ich mich ausziehe, die Kleider auf den Boden lege und mich darauf ausstrecke. Im Halbschlaf, während Flugs Körper sich in Zeitlupe im Raum bewegt, wiederhole ich in meinen Kopf »Ich erkläre mich zum politischen Gefangenen«, und jeder Satz ist die Sprosse einer Leiter, und ich klettere auf den Satz, steige hoch, komme aber nie an. Dann, nach der wer weiß wievielten Wiederholung, versuche ich nach der Sprosse zu greifen, doch es gelingt mir nicht, sie ist nicht da; da sind die anderen Sprossen, aber dort, wo ich die Hand hinlegen will, ist nichts. Als ich im Schlaf versinke, weiß ich, dass jene Leere das kreolische Mädchen ist, die Stille zwischen den Sätzen, die Leere zwischen den Wörtern, die Ruhe, meine Pause beim Sprechen, das, was nicht Sprechen ist, der perfekte Ort, wo ich nicht existiere.
    Ich fahre aus dem Schlaf hoch. Das elektrische Licht brennt. Ich weiß nicht, ob ich ein paar Minuten oder stundenlang geschlafen habe. Flug sitzt auf der Liege: der Trenchcoat auf dem Boden zusammengelegt, darauf das Kissen und der Borsalino. Er schläft nicht. Er nimmt einen Keks aus einer Schachtel und führt ihn zum Mund - lange grüne Adern laufen über seinen Unterarm. Er dreht sich zu mir hin, mit dem Ausdruck von einem, der wartet. Dann kommt mir diese Frage über die Lippen, ohne dass ich sie gedacht hätte.
    »Was machen wir mit dem kreolischen Mädchen?«, frage ich.
    Flug lässt den Keks zwischen seinen Fingern in die Schachtel fallen, rückt auf den Rand der Liege, beugt sich vor.
    »Mit wem?«, fragt er.
    »Mit Wimbow«, sage ich. »Was werden wir mit Wimbow machen?«
    Er steht auf, gelassen, makellos, ohne eine Spur von Müdigkeit.
    »Werden wir ein Lösegeld verlangen?«, frage ich weiter.
    Er fährt sich mit den Fingern über den Stoff der Hose, säubert seine Fingerspitzen von den Krümeln.

    »Wir werden sie behüten«, sagt er.
    Ich reagiere nicht auf seinen Ton, antworte nur auf inhaltlicher Ebene.
    »Wie lang?«
    »Solange es nötig ist.«
    »Genosse: Wie lang?«
    Er nimmt die Keksschachtel, macht sie zu, stellt sie beiseite. Seine geordneten Bewegungen veranschaulichen, in welcher Weise die Dinge funktionieren sollten. Dann lehnt er sich wieder nach vorn; betrachtet mich, inspiziert mich; er will mich absorbieren, mich ganz assimilieren.
    »Nimbus«, fragt er mich mit einer Stimme, als wolle er keine Antwort hören, »was, meinst du, hält eine Verbindung aus?«
     
    Am Nachmittag habe ich Schwimmunterricht: Ich gehe hin, auch wenn ich mich kraftlos fühle. Nach dem Aufwärmen auf dem

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