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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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Handbewegung und kommt zurück.
    »Na also«, sagt er und lächelt.
    »Na also was?«, fragt Bocca.
    »Ich habe mit ihnen gesprochen.«

    Bocca verzieht nervös das Gesicht, er kann ihm nicht folgen.
    »Ich habe keine Angst vor ihnen«, sagt Scarmiglia, »weil ich Italienisch spreche. Ich, wir drei sprechen Italienisch.«
    »Und was hast du ihnen gesagt?«, frage ich.
    »Ich habe um eine Auskunft gebeten und die ganze Zeit den Konjunktiv benutzt.«
    Sein Lächeln wird breiter und füllt eine Schweigepause. Dann fährt er fort.
    »Für die sind die Wörter Nägel und Hammer«, sagt er, »Löffel und Messer. Sie dienen nur dazu, etwas zu sagen, sonst nichts.«
    »Sie verstehen nur Dialekt«, sage ich.
    »Ja«, sagt Scarmiglia, »und sie verstehen nicht, was wir auf Italienisch sagen.«
    Jetzt ist Bocca im Bild; und nicht nur das: Was wir diskutieren, gefällt ihm sehr.
    »Wir kennen die Lust an der Sprache«, sagt er. »Nicht nur den Konjunktiv, die Lust an den Sätzen.«
    Während Bocca spricht, fasse ich den scharfen Stacheldraht in meiner Jackentasche an.
    »Italienisch zu sprechen«, sagt Scarmiglia, »komplex zu sprechen heißt für uns, wegzugehen«.
    Mir fällt die Lehrerin ein, die vor fast einem Jahr bei den Prüfungen, ironisch und realistisch, wie sie war, zu mir sagte, ich sei mythopoetisch, und wie zufrieden ich war, als ich herausfand, was das heißt, was für ein Vergnügen es machen kann, sich zwischen den Wörtern zu bewegen, die Zeit in der Sprache zu verbringen. Weggehen und Sätze konstruieren. Sich isolieren. Denn die Konsequenz unserer Ausdrucksweise - der gedämpfte Ton, die geringe Lautstärke, jedes Wort gleich, für sich stehend, ruhig und doch aufrührerisch - ist, dass unsere Klassenkameraden uns meiden. Für sie sind wir anomal. Idioten. Wenn sie dann noch hören, worüber wir sprechen - die ausführliche Analyse der gegenwärtigen politischen Situation Italiens, die radikale Kritik der Macht -, machen sie Witze und lassen uns allein.

    »Wir gehen weg aus Palermo«, fährt Scarmiglia fort, »allein dadurch, dass wir sprechen.«
    »Die Sprache macht uns zu Schuldigen«, ruft Bocca aus.
    »Ja«, sagt Scarmiglia. »Die Sprache ist unsere Schuld.«
    »Niemand spricht wie wir«, sagt Bocca stolz. »Heute, jetzt«, präzisiert er.
    »Das stimmt nicht«, sagt Scarmiglia. »Manche schon.« Bocca wartet, neugierig geworden, beinahe traurig, dass es jemanden geben könnte, der der Sprache die gleiche Aufmerksamkeit widmet wie wir.
    »Die Roten Brigaden«, sagt Scarmiglia. »Sie sprechen - oder besser: schreiben - wie wir. Ihre Kommuniqués sind komplex, die Sätze lang und voller Kraft. Sie sind die Einzigen in Italien, die so schreiben.«
    Jetzt ist die Luft feucht, verdichtet sich, ballt sich grau zusammen und reißt dann auf und entleert sich. Über mir türmen sich Kumulonimbuswolken wie ein Amboss auf. Der dunkle Kumulonimbus. Der helle Nimbus um meinen Kopf herum. Die Sprache, die mich erwählt. Das harte Geräusch der statischen Elektrizität. Die Ionen. Die Blätter und der Staub, die tief unten zu wirbeln beginnen.
    Während das Gewitter heraufzieht, kommen die Hunde. Fünf. Rötliches Fell. Einem fehlt vorne eine Pfote. Er schwankt. Sie gehen auf und ab, ahnen den Regen. Sie gehen zwischen den kleinen Jungen durch, die in den Elendsquartieren leben, zwischen ihren Müttern, die mit blauen und roten Eimern herumfuhrwerken. Mit harten Besen. Als wollten sie in Kürze, wenn es regnet, die Straßen putzen.
    Die ersten Tropfen fallen, die Hunde beginnen zu kämpfen. Der Amputierte ist der reizbarste, er tobt und beißt. Eine verkrebste Taube kommt dazu. Wenn es anfängt zu regnen, verschwinden die Tauben: Diese hier muss sich verirrt haben. Sie macht ein paar Schritte, versteift sich im Rumpf, hält den Kopf schief und beobachtet mit einem orangefarbenen Auge den Kampf. Sie fixiert den Amputierten, der losstürmen will und stattdessen auf seinen
Stumpf fällt, wieder aufsteht und erneut angreift. Auch die Taube ist verstümmelt. An einem der beiden knorpeligen Füße fehlt die Kralle. Mit kleinen Sprüngen bewegt sie sich auf den Kampf zu. Ich stehe auf, die Taube geht immer noch weiter; ich möchte sie zurückhalten, doch ich weiß nicht wie. Die Taube ist einen Meter von der knurrenden, kämpfenden Meute entfernt. Sie macht einen letzten kleinen Sprung und landet mitten in der Rauferei. Die Hunde halten inne; der Staub, schon feucht, sinkt zu Boden. Der Amputierte sieht den Taubenfuß ohne

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