Die Glasfresser
sinnlich. Darüber der steife Schnurrbart der Antenne, der ausklappbare Griff. In letzter Zeit ist es wegen der Ereignisse zur Gewohnheit geworden, ihn abends in die Küche zu tragen und die Nachrichten beim Essen anzusehen. Der große schwarze Apparat, der gleichmütig alles zeigt, steht im Wohnzimmer.
Die Schnur hat den Fernseher am Drehknopf eingeschaltet, einen Stuhl vom Tisch gerückt und sich hingesetzt. Es heißt, die Roten Brigaden hätten Moro heute getötet und die Leiche in einen See nahe Rieti geworfen. Man sieht Bilder von Froschmännern, die in dem zugefrorenen See tauchen und ihn absuchen. Das Schwarz-Weiß-Bild wackelt, die Schnur steht auf, verstellt die Antenne, das Bild stabilisiert sich, sie setzt sich wieder hin. Die schwarzen Schatten der Froschmänner tauchen in die Wasserkrater ein. Sie suchen unter Wasser, im See. Die Leiche von Aldo Moro verloren im tiefen Dunkel. Man sieht auch Bilder von unten nach oben, in Richtung Hubschrauber, die mit den weißen Eisplatten davonfliegen, und das dunkle Wasser.
Zu meiner Linken, unter dem Fenster, ist das Schmutzbecken. Es ist ein niedriger Spülstein, viereckig, aus einer schon von Natur aus fleckigen Keramik hergestellt. Es heißt Schmutzbecken, weil das schmutzige Putzwasser dort hineingegossen wird; auch das Wasser aus dem Schlauch der Waschmaschine lässt man dort ab,
und außerdem wird nach dem Mittag- und dem Abendessen das Tischtuch darüber ausgeschüttelt. Der Boden des Schmutzbeckens sieht immer furchtbar aus, obwohl der Rest der Küche blitzsauber ist. Brotkrümel, Teigbröckchen, Salatreste, Apfelstiele, Reis, ein Haar, trockener Schaum, Zigarettenasche. Wie sehr man es auch putzt, ein fester, zäher Rest bleibt: Eher als ein Rest ist es eine Form von Stolz.
Auf dem Schmutzbecken sitzt am Vormittag Crematogastra, die Putzfrau. Riesig, alt, ein Tuch um den Kopf, sehr dunkle Haut. Das Gesicht einer Ameise. Unsere fettleibige Ameise. Das Schmutzbecken ist ihr Platz, ihr Thron: Sie zwängt ihren fetten Hintern zwischen die Ränder, ruht sich aus; hütet das Licht und wartet, dass ihr Sohn vorbeikommt und sie abholt.
Wenn ich aus der Schule komme, gehe ich in die Küche und sehe sie. Eine dicke Wolke. Ich bewege mich langsam, setze mich hin, tue so, als würde ich zeichnen. Ich bleibe da, höre sie zischend atmen, ihr Körper stößt mikroskopische Geysire aus. Im Zimmer sind nur wir, sie und ich, der Stift auf dem Blatt und das Zischen. Ab und zu, von oberhalb des Hängeschranks, das dumme Piepen des Kanarienvogels im Käfig mit dem weißen Sellerie darin. Wenn Crematogastra dann aufsteht und aus der Küche geht - langsam, moribund, mit Worten in Dialekt -, verlasse ich meinen Stuhl und trete an das Keramikquadrat. Das Innere des Beckens ist erfüllt von strahlendem Licht: Crematogastra ist die Hüterin des Familienlichts. Sie weiß, dass die Reste auf dem Grund des Beckens nicht entfernt werden dürfen, weil sie der konkrete Dünger des Lichtes sind, das Elend, das es nährt.
Jetzt gibt es im Fernsehen Erklärungen. Cossiga, Zaccagnini, Fanfani. Sie sprechen über das Kommuniqué Nr. 7. Manche glauben daran, manche nicht. Er ist auf dem Grund des Sees, er ist nicht auf dem Grund des Sees, er ist im Himmel. Manche sagen, dass sie nicht daran glauben wollen, manche können nicht, und manche dürfen nicht.
Die Schnur steht auf, nimmt ein Glas aus dem Regal über dem Waschbecken, die Flasche vom Tisch. Sie trinkt, unter der Haut
für einen Moment das Beben einer Schlange, die dann in der Kehle verschwindet.
Die Schnur hat eine Hakennase. Eine leichte Krümmung des Knochens, der Knorpel vorne ist spitz. Sie ist immer hell und durchscheinend. Wenn ich mich nähere, nehme ich die Mischung aus Molekülen wahr, den Geruch nach Brot und Milch, nach den Fliesen im Bad und Putzmitteln, den Geruch nach Katzen und nasser Wolle: Die Schnur schnüffelt an den Dingen, pickt die Moleküle mit ihrer gläsernen Urne auf. Ich habe ihre Nase, aber breiter in der Krümmung und kühner, unverschämter.
»Stell den Teller ins Waschbecken, wenn du fertig bist, und lass Wasser darüberlaufen«, sagt sie.
»Sieh zu, dass du fertig wirst«, sagt sie noch einmal und geht aus der Küche.
Im Fernsehen weitere Erklärungen, erneut die Bilder vom Eis, dann Ausführungen über das Versteck in der Via Gradoli, einen Besen, eine Überschwemmung.
Jetzt sollte ich den Löffel nehmen, die Suppe in die Mulde fließen lassen, ihn zum Mund führen. Ich sollte das Beharren auf
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