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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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täglichen Zusammenstoß, eine Stirn gegen einen Jochbogen, der Mund gegen eine Schläfe. Um uns herum wirbeln die Gesichter der Palermer, ununterscheidbar von den Fratzen am Eingang der Geisterbahn.
    Mir ist heiß, das Hemd klebt mir an der Brust. Wir setzen uns auf eine rot-weiße Treppe, wo weniger Menschen sind. Es wird langsam dunkel. Bocca atmet schwer, fleischig, sagt irgendetwas, das ich nicht hören kann; Scarmiglia besieht sich seine Finger, reibt sie, krümmt sie, biegt den Zeigefinger nach hinten, bis er das Handgelenk berührt. Uns gegenüber ist ein Stand mit einem Eisschild. Ich stehe auf, gehe hin, lehne mich an die Metalltheke und sehe mir die Fotos von den Hörnchen und dem Wassereis auf einem himmelblauen Hintergrund an. Sie haben peinliche Namen. Pafff, Mike Blond, Dalek, Bananita. Ich nehme das mit der Waffel, Kakao-Vanille in der Mitte. An beiden Seiten sind humoristische Mikrocomics mit Zeichnungen von Tieren und Sprechblasen mit Witzen. Ich lese, es ist dummes Zeug, ich esse
mein Eis mit kleinen Bissen und schlucke. Ich spüre, wie mir die blöden Sprüche in die Kehle rutschen.
    Während ich das Eis esse, genieße ich die frische Luft des Ventilators, die aus dem Kiosk kommt. Auf der Theke steht eine kleine, volle Flasche Coca-Cola mit einer Rose darin. Dekoration. Der Stiel fischt im Schwarzen, nimmt Bläschen auf, die Blumenkrone ist breit und dicht, ein verdrehtes Auge. Hin und wieder kommt in Palermo jemand auf die Idee, eine Blume in eine Flasche zu stellen. Man sieht es auf Fensterbänken, auf manchen Gräbern auf dem Friedhof. Aber normalerweise ist die Flasche leer oder mit Wasser gefüllt. Diese Rose hat so viele Bläschen absorbiert, dass sie platzt, die Kohlensäure macht sie nervös.
    Ich frage den Eisverkäufer, ob ich sie mitnehmen darf. Er kann mich nicht gut sehen und versteht nicht, schaut meinen Schädel an und macht eine Geste, die bedeutet, ich soll sie mir nehmen, wendet sich dann ab, um jemanden zu bedienen. Ich greife mir die Flasche und gebe den anderen ein Zeichen, dass ich sofort wieder da bin. Ich gehe noch einmal hinter den Pavillon mit den Traktoren. Einer davon muss auf Hochtouren laufen, der Wahnsinnslärm vernichtet alles. Ich hefte den Blick auf den Asphalt, mache einen Schritt zu der einen Seite, dann zur anderen und einen nach vorn und stelle die Flasche mehr oder weniger in die exakte Mitte zwischen dem blauen Blech und der Einfriedungsmauer. Während ich das tue, höre ich den Wahnsinnslärm und denke, dass ich etwas Dummes tue; Scarmiglia und Bocca werde ich nichts sagen. Ich sehe noch einmal die Rose an, die leicht hängende Knospe, kehre zu den anderen zurück. Als wir durch das Gittertor hinausgehen, hebe ich den Blick zu den Fahnen: Sie wehen an hohen Masten, die sich spitz zwischen den unbegreiflichen Flügen der ersten Fledermäuse in den Himmel bohren.
     
    Alle sollten früher oder später ihren Schädel kennenlernen, ihn mit den Fingerspitzen berühren, ihn mit gespreizter Hand in Spannen vermessen, die Arme verdrehen, um seinen Umfang zu erfassen und seine Oberfläche zusammenzudrücken, sich seine
Form und Härte und Zartheit aneignen und die Lücke der Fontanelle finden, die kleine Vagina, durch welche die stille Welt in uns eindringt.
    Alle sollten außerdem einmal ihren Schädel waschen, ihn einseifen, das Knistern des Schaums hören, der in die Kopfhaut einzieht, die Haut ordentlich besprengen, mit Hingabe, bis hinter die Ohren und in die Ohren, und dann abspülen, indem man zunächst aus den Handmulden kleine Becher Wasser darübergießt, und erst danach, um das Abwaschen zu vervollkommnen, den Schädel dem Duschstrahl aussetzen, mit geschlossenen Augen spüren, wie die Stiche einer nach dem anderen ins Gehirn eindringen.
    Am Morgen des 8. Mai, beim Duschen, betaste ich mit der Handfläche den ganzen Schädel, ich reibe ihn, ich spüle ihn ab, und ich reibe ihn erneut. Dann wasche ich mir die Hoden, und in meiner Hand fühlen sie sich glatt und kalt an, wie aus Knochen, aus Keramik gemacht.
    Ich komme in die Schule, sehe Scarmiglia, drehe mich um, und da kommt Bocca, der runde Körper überragt von einer perfekt glatten Kugel mit einer in die Mitte eingegrabenen Mulde des Glücks. Er kommt näher, redet mit uns und freut sich, ist ganz außer sich, voller Begeisterung und Pläne. Dann gehen wir in die Klasse, bahnen uns einen Weg durch das Gewirr von Fragen. Den Lehrern sagen wir, dass unsere Eltern, als sie von den Läusen erfahren haben,

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