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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Vasta
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Plan ist; der Taktik, bei der es hingegen um die Art und Weise geht, sich den Umständen anzupassen.
    »Es gibt Mannschaften«, sagt Scarmiglia, nachdem ich den Ton des Fernsehers leiser gestellt habe, »die eine meisterhafte Strategie, aber eine unzulängliche Taktik haben; genauso gibt es Mannschaften mit unklarer Strategie, die dennoch in der Lage sind, unerwartete Lösungen zu finden und manchmal den Gegner zu zermürben und sogar zu gewinnen.«
    Ich beiße in eine Tomate, spüre den Saft in mich hineinlaufen; drüben in der Küche wäscht die Schnur noch mehr Salat, unterstützt unsere Leidenschaft für Gemüse.
    »Italien«, fährt Scarmiglia fort, »gehört in diese zweite Kategorie. Es spielt, als wäre es krank, mit einer Art nassem Bauchsack in der Mitte vom Körper, der wie Ballast alles beschwert. Eine dicke Frau, widerwillig und feindselig. Eine Mannschaft, die von Beginn der Begegnung an keine Spuren hinterlässt, keine Vorstellung vom Spiel hat, den Gegner durch wirre, unüberlegte Pässe und sinnloses Hin-und-her-Spielen des Balls deprimiert und kein Leben in das Ganze kommen lässt.«
    An diesem Punkt ist das Spiel wie betäubt. Die andere Mannschaft versucht anzugreifen, doch Italien stellt sich mit Mauern aus Langeweile dagegen. Nach einer Weile zieht sich auch der Gegner zurück. Alles lässt nach, schläft ein. Und da kommt Italien, aus reinem Zufall, der jedoch eine statistische Vorhersehbarkeit hat, mit Ausfällen nach vorn, die wie Rülpser sind, wie Röcheln, die gegnerische Mannschaft ist überrumpelt, der Ball landet vor
den Füßen von Paolo Rossi - klein und hässlich, die kurzen Beine unbehaart und das Lächeln irre -, und Italien schießt ein Tor. Es gleicht aus oder gewinnt, trägt den Sieg davon. Italien gewinnt das Spiel ohne Anstand, auf gemeine Art, unverdient. Oder vielleicht mit dem einzigen Verdienst, verstanden zu haben, dass nichts von alle dem, was geschieht, etwas mit Verdienst zu tun hat und dass es keine Logik gibt und keine Gerechtigkeit.
    Die Mannschaften haben inzwischen in der Mitte des Felds zum Abspielen der Nationalhymnen Aufstellung genommen; die Musik ist nur leise zu hören, nur die Streichinstrumente, die italienische Hymne ist ein Mückenchor. Bocca lässt sich ablenken und betrachtet unsere Fußballer, dann nimmt er ein Salatblatt, bringt es an die Lippen, hört zu und vergisst es zu essen.
    »Im Moment spielt Italien gut«, sagt Scarmiglia. »Es ist nicht unsicher, sondern kämpferisch, sauber im Ausdruck und stürmisch, wenn es mit einem schwungvollen Schuss harmonisch in den Angriff geht. In dieser Entfaltung spürt man die gebündelte Energie und einen animalischen Willen, richtig loszulegen, zuzupacken und das Spiel an sich zu reißen.«
    Während Scarmiglia spricht, isst er nicht und wendet dem Fernseher den Rücken zu, steht davor, bewegt die Arme wie ein Dirigent: Der lyrische Elan, bei dem man den Genuss an der Sprache spürt, wechselt mit gedämpfteren und entrückteren Momenten ab.
    »Bettega spielt im Moment schön«, sagt er. »Tardelli spielt schön. Causio ist Logik und Aufbau. Scirea berechnet mit den Augen. Das Blau ihrer Trikots enthält einen Schuss Schwarz, der ihnen eine nie zuvor gesehene Intensität gibt.«
    Das Spiel hat angefangen, die Schnur hat für Nachschub an Tomaten gesorgt, hat eine Flasche Wasser gebracht und sieht uns an; da verstummt Scarmiglia, Bocca und ich verschränken die Arme, fixieren den ruhigen Bildschirm. Die Schnur versteht, geht hinaus, Scarmiglia fährt fort.
    »Wie schön sie auch spielen mag, es ist doch immer noch die italienische Nationalmannschaft. Die Mannschaft der Gemeinheit,
der Vergeudung, der Feigheit: Früher oder später wird ihre ursprüngliche Gesinnung die Oberhand gewinnen, und man wird zum Herumspielen zurückkehren, zum Durchmogeln, zum zähen Schleim, der sich über das Spielfeld zieht. Also lassen wir sie beiseite, nicht sie ist es, die uns interessiert. Für uns sind die Strategien wichtig, die Formierungen, die Gruppenbildungen und die Konstellationen. Auf welche Weise es dem Denken gelingt, im Chaos einen Kosmos auszumachen, im Wald einen Pfad.«
    Er legt eine Pause ein.
    »Unsere Mannschaft ist Holland«, sagt er.
    In diesem Moment geht Italien in Führung. Eigentor von Brandts.
    Scarmiglia schweigt, geht zum Fernseher, dreht den Ton lauter, setzt sich hin, beißt in eine Tomate und konzentriert sich auf die Begegnung.
    Auch ich konzentriere mich auf die Partie, doch insbesondere auf

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