Die Glasfresser
Romeo Benetti, auf den Körper von Romeo Benetti - die hellen Augen, die feinen Haare, den rötlichen Schnurrbart, der aus Nordeuropa kommt, der nach Norwegen aussieht, nach Fjorden, nach Packeis, das in der Arktis verloren ist.
Es stimmt, denke ich, Tardelli und Bettega spielen schön, doch Romeo Benetti hat eine nüchterne Würde, nicht italienisch und sogar antiitalienisch, eine Klarheit, die ihn auf dem Spielfeld zum Spitzenmann und Mittelpunkt macht. Ein Garibaldi des Fußballs, aber ohne die bestickte Kappe und den Fransenponcho, ohne die falsche Risorgimento-Rhetorik des Patriotismus und den Zierrat der nationalen Identität: Garibaldi ohne Garibaldi.
Wenn er den Ball hat und einen Vorstoß macht, reckt Benetti den Kopf, nimmt das Spielfeld scharf in den Blick und nötigt ihm Raum ab. Seine breite blaue Brust füllt sich mit Sonne, und die ganze Mannschaft ist hinter dieser Brust und wird zur Frau, die er als Mann verteidigt. Denn Romeo Benetti zwingt zu einer traumatischen Wahrnehmung von Männlichkeit. Steinern und unangefochten. Keine Angeberei, kein dummes Geschwätz bei einem Gläschen, keine italienische Übertreibung der eigenen sexuellen
Vorzüge: Wenn Romeo Benetti sich auf dem Spielfeld bewegt, hat er diesen eiskalten Samen in sich, hat er diese raue und beständige Sinnlichkeit, die nicht melodramatisch und daher für unsere Blicke unbegreiflich ist.
Die Schale mit dem Salat ist jetzt leer; in der anderen schwimmen noch zwei zerquetschte Tomaten in einer Flüssigkeit mit gelben Samen. Holland hat 2:1 gewonnen, Ausgleich durch Brandts und ein weiteres Tor von Haan.
Scarmiglia ist zufrieden. Holland ist die konkrete Demonstration der Idee, die er bei unserer Militanz für zentral hält: Die Veränderlichkeit der Rollen bestimmt die Unveränderlichkeit der Form. Oder: Das Gleichgewicht der Mannschaft hängt von der Bereitschaft jedes Einzelnen ab, mit der Verantwortung für seine Rolle auch die für die Rolle der Kameraden zu übernehmen.
»Jeder ist alle«, sagt er. »Beweglich, reagierend, präsent, veränderlich. Fähig, seine eigene Position zu verlassen, um die eines Kameraden abzudecken. Das Gleiche gilt für uns: immer bereit und hellwach, anpassungsfähig. Die Identität beiseitelassen, auf das Ich zum Vorteil des Wir verzichten.«
»Ich werde es klarer machen.« Er steht auf, gibt uns ein Zeichen, ihm zu folgen. Bocca nimmt sich im Hinausgehen noch eine Tomate. Wir gehen nach unten, in den Park gegenüber vom Haus. Wir legen einen viereckigen Platz fest, zwischen zwei Palmen mit schuppigen Stämmen, einem Busch und einer Laterne. Dann folgen wir den Anweisungen Scarmiglias und beginnen im Kreis oder quer durch den Raum zu gehen, ohne je stehen zu bleiben, vorwärts, wieder zurück, im Zickzack, besetzen die Zonen, die frei sind, stellen das Gleichgewicht wieder her, kompensieren.
Am Anfang begreife ich es nicht, dann konzentriere ich mich stärker, denke mir eine Methode aus und habe sogar Spaß daran, aber damit höre ich sofort auf, weil ich weiß, dass Spaß haben nicht in Ordnung ist. Bocca ist zögerlich, verpasst alle Positionswechsel; wenn ihm einer gelingt, ist er begeistert und verliert den Faden. Scarmiglia dagegen durchquert den Raum, als würde er ihn aus der Höhe betrachten und mit den Augen, mit den Ohren
und dem ganzen Körper wahrnehmen, wo die freien und wo die besetzten Plätze sind.
»Die Bewegungen«, sagt er, als wir benommen schwanken und keine Vorstellung von Raum und Proportionen mehr haben, »müssen fortlaufend und aufeinander abgestimmt sein, unmerklich wie die Vibration des Atems.«
Wir lassen uns ins Gras fallen, versinken darin. Es ist trocken und knistert. In meinem Kopf habe ich eine Verwirrung, die mir gefällt. Der Himmel ist fern und voller weißer Spiralen. Ich höre den Atem von Scarmiglia und Bocca, ein rhythmisches Schnaufen; ich drehe mich auf eine Seite und betrachte den wenige Meter entfernten Brunnen ohne Wasser, das Rund aus Stein, auf das die Mütter die Kinder klettern lassen und sie dann an der Hand im Kreis führen, im Uhrzeigersinn, um sie zu dressieren.
Am letzten Schultag habe ich das kreolische Mädchen schlafen sehen. Ich streifte durch die Gänge, allein, schaute in die halb leeren Klassenzimmer. Es war früher Schulschluss, mitten am Vormittag, in dieser natürlichen Ausfransung, die in den letzten Tagen entsteht, wenn es nichts mehr zu sagen gibt und alles sich auflöst. Ich war bis zuletzt im Klassenzimmer geblieben, bis
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