Die Glasfresser
Schlafzimmer unterhalten, ist Flug still; dann, sobald der Bruder und sein Freund aus dem Zimmer gehen, zieht er schnell und leise die Schubladen auf: Er braucht eine Weile, doch dann findet er, was er sucht.
Als er uns den Kittel zeigt, ist er sehr zufrieden.
»Er ist weiß«, sagt der Genosse Strahl.
»Er ist von einem Chemiker«, antwortet Flug.
»Wir brauchen einen blauen.«
»Wir malen ihn an.«
Wir verbringen einige Nachmittage nach den Hausaufgaben damit: auf der Lichtung, die Filzstifte in der Hand, über den Stoff gebeugt. Wir nehmen helles Blau, dunkles Blau und Schwarz: Was zählt, ist die Gesamtwirkung. So gekrümmt, wird meine Brust zusammengepresst, und ich bekomme schlecht Luft. Ich mache weiter, aber es ist eine sinnlose Anstrengung. Die Welt ist, wenn man so will, einfach, doch uns gefällt das Hindernis, wir erheben es zum Kult; Erschwernisse und undurchsichtige Herausforderungen ziehen uns an. So wollen wir den Feind spüren, ihn perfektionieren.
Als die drei Puppen fertig sind, besorgen wir uns noch Seile, lange, kräftige Nägel und einen Hammer, warten den ersten passenden Abend ab und schreiten zur Tat. Zu Hause sagen wir, dass wir ins Kino gehen; um elf müssen wir also fertig sein. Der Transport der Puppen von der Lichtung zur Piazza Edison kostet Zeit. Die Strecke ist an sich nicht sehr lang, doch Flug konnte nur einen Campingrucksack auftreiben, wieder von einem seiner Brüder, also müssen wir dreimal gehen. Am Brunnen verstecken wir uns hinter einem Baum mit einem schiefen, harzigen Stamm und warten, dass die Lichter in den Häusern nach und nach erlöschen. Es ist zehn Uhr, doch hier wohnen arbeitende Menschen, man geht früh
schlafen. Die Lichter vergehen in den Augen, das Harz klebt an den Fingern. Wir lassen noch zehn Minuten verstreichen, bevor wir auf das Eisengitter klettern, uns die drei Puppen zureichen und in den Brunnen hinabsteigen. Auf halber Höhe schlagen wir drei Nägel ein, einen nach dem anderen. Zwischen den Kopf des Nagels und den Hammer halten wir ein mehrfach gefaltetes Stück Stoff: Man hört nur ein dumpfes Klopfen. An den Nägeln befestigen wir jeweils ein Seilende, an das andere hängen wir die Puppen; der mittleren Puppe treiben wir einen Nagel mit dem Bekennerschreiben in den Bauch. Bevor wir gehen, zieht der Genosse Flug etwas aus dem Rucksack, und wir hören ein Sprühgeräusch; im Halbdunkel, auf der Wand unter den Puppen, erscheint unser Satz. Diesmal allein, und gleich darunter die Abkürzung unserer Gruppe. Flug steckt die Sprühdose wieder in den Rucksack, wir gehen zurück und sind nach zwanzig Minuten zu Hause.
Es dauert zwei Tage, bis die Nachricht in der Presse auftaucht. So lange brauchen die Leute an der Piazza Edison, um die aufgehängten Puppen zu bemerken und die Polizei zu benachrichtigen: Das Ereignis, das zur Nachricht reduziert wird und so weiter.
Der Artikel beschreibt die Szene als makaber. Er fährt mit ähnlich banalen Adjektiven fort, aber es ist nicht das, was zählt. Er erkennt an, dass in der Stadt etwas geschieht, spürt die Ausbreitung einer Infektion. Das Fehlen einer direkten Forderung, heißt es, bedeute, dass diese Gruppe weniger mit einer einzelnen spektakulären Aktion hervortreten wolle, sondern die Absicht habe, ihre stille Präsenz spüren zu lassen.
Diesmal möchten wir uns bei dem Journalisten bedanken, dass er mit seiner Analyse deutlich gemacht hat, was wir wollen: immer präsent sein. Materiell. Von allen wahrgenommen werden, doch so, wie man Gespenster wahrnimmt. Oder das Licht. Oder die Luft. Durch die Augen und durch den Atem eindringen, absorbiert werden, ohne dass jemand es bemerkt.
Der Artikel fährt mit Ausführungen zur aufgesprühten Parole und zum Bekennerschreiben fort; das Symbolische der Aktion wird klar. Wir hängen - NOI hängt - drei Symbole der schulischen
Macht auf: die Puppe des Lehrers mit der komischen Jacke, den Hausmeister im blauen Kittel - und hier weist der Journalist darauf hin, dass der Kittel ganz und gar in Handarbeit gefärbt sei, weniger als Demonstration der Armut unserer Mittel denn unserer Fähigkeit, uns einer Sache zu widmen - und schließlich die Oberschüler und Studenten, die den Anspruch erheben, als einzige den Kampf führen zu dürfen. Indem der Nucleo Osceno Italiano auch sie aufhängt, distanziert er sich, so das Bekennerschreiben, von jeder Komplizenschaft mit einer Subversion, die zur Pose und Parodie ihrer selbst verkommen ist, zur wirkungslosen Aktion, im
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