Die Glasfresser
heimlichen Einverständnis mit jener Macht, die sie zu bekämpfen vorgibt. Die einzige glaubwürdige Avantgarde in Palermo ist jetzt die der Schüler der Mittelschulen. Ihnen kommt die Aufgabe zu, den Weg zu weisen, mittels einer neuen Welle von Initiativen, bei denen das Ziel systematisch immer höher gesteckt wird, von der Menschenpuppe hin zum Puppenmenschen.
Die Idee, mit einer Drohung zu schließen, die auf reale Menschen als unsere nächsten Ziele hindeuten soll, kam vom Genossen Flug. Indem er sie vorschlug oder besser: durchsetzte, hat er uns zu verstehen gegeben, dass es nicht um Fantastereien geht, nicht darum, ins Blaue hinein irgendwelche Drohungen auszustoßen: Unsere nächsten Aktionen werden sich tatsächlich gegen Menschen richten. Wir sind dazu in der Lage, hat er gesagt. Wir haben die Mittel dazu, hat er gesagt. Die Pflicht.
In der Nacht habe ich Mühe, Schlaf zu finden. Wenn ich unter die Decken schlüpfe, geschieht nichts. Ich höre den Lappen atmen, tief und sehr lang; sein Atem durchströmt ihn vom Kopf bis in die Zehenspitzen und reinigt ihn. Ich dagegen atme nicht gut. Ich versuche den Atem zu beherrschen, das ist das Problem. Der Atem kann nicht beherrscht werden. Man kann ihn nicht zwingen, wie ein marschierender Soldat durch Mund und Lunge zu laufen. Der Atem, der ja nun schon seit elf Jahren in meinem Körper seinen Dienst leistet, ist sich seiner selbst nicht bewusst und muss es bleiben. Jeder Versuch der Kontrolle lässt den Schlaf unnatürlich
werden, also stehe ich auf, gehe den Flur hinunter bis zum Eingang, kauere mich in den Sessel, bleibe dort sitzen und lausche den Geräuschen des Fernsehgeräts, die aus dem Wohnzimmer kommen. Dann schlafe ich ein, und es ist der Stein, der mich sanft hochhebt, mich dazu bringt, zurückzugehen und mich wieder ins Bett zu legen, wo ich erneut nicht einschlafen kann; ich warte darauf, auch das Atmen des Steins und der Schnur aus dem anderen Zimmer zu hören, stehe wieder auf, gehe zurück zum Sessel und schlafe ein. Im Morgengrauen werde ich wach, das erste Licht dringt durch die geschliffenen Scheiben auf dem Flur, ich kehre ins Schlafzimmer zurück, in mein Bett und in meinen Halbschlaf. Ich sehe Wimbow wieder, vor einem Monat, am ersten Schultag, schwarz und rot und leuchtend die Haut und die dunkle Iris, ein unerwartetes Lächeln, als sie mich kommen sieht. Die Bewegung der Hand, die Wahrnehmung des kleinen hellen Flecks. Eine Geste, bei der man nicht weiß, ob sie ein Gruß ist oder eine Art zu sagen, dass ich mich nicht nähern soll. Wimbow in den Tagen danach, versunken in die Lektüre, in das Erlernen der Wörter aus Geschichte und Geografie, Wörter, um die Antillen zu beschreiben, während ich stehle und zerstöre und brenne und aufhänge.
Bald muss ich aufstehen, doch auf dem Seidenpapier des Halbschlafs ist immer noch Wimbow am Morgen des Brands, die kleinen Flammen in den Augen: Sie entschlüsselt und übersetzt in die Sprache der Stille. Dann ist es sieben, die Schnur zieht den Rollladen hoch und ruft uns.
Ein Treffen auf der Lichtung folgt auf das andere. Für den Genossen Flug sind es Zusammenkünfte der Exekutive. Der strategischen Leitung. Er und der Genosse Strahl werden immer entschlossener. Konstruktiver, klarer. Ich halte mich bedeckt, habe Mühe, mich zu konzentrieren, stelle mich aber gegen nichts.
Flug zufolge sind wir soweit. Noch eine einzige Aktion gegen Sachen. Eine letzte Stufe: Dann sind wir bereit für die Körper.
Das Ziel ist diesmal das Auto des Direktors. Es anzuzünden. Aber nicht, wenn es vor der Schule parkt, das ist zu gefährlich und unter
strategischem Gesichtspunkt falsch. Wir müssen herausfinden, wo er wohnt, und zuschlagen, wenn das Auto vor dem Haus parkt. Seine Adresse steht nicht im Telefonbuch. Den Lehrern können wir keine Fragen stellen, und wir können auch nicht hinter dem Auto herlaufen. Wir beschließen also, im Laufe der Tage so etwas wie eine Stafette zu entwickeln. Eine Art aufgeteiltes Beschatten.
Zuerst einmal warten wir nach der letzten Stunde, bis der Direktor aus der Schule kommt und in sein Auto steigt. Es ist ein alter roter Simca 1000, sehr ungepflegt, mit Flecken an den Seiten, großen Lackschäden auf der Haube, einer verbogenen Stoßstange. Unverwechselbar. Wir verteilen uns auf die Einmündungen der Straßen, in die das Auto abbiegen könnte. Wir merken uns, in welche Straße es gefahren ist, und sind am nächsten Mittag auf dem neuesten Stand, wenn wir uns ein
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