Die Glasglocke (German Edition)
Arbeit Sie eigentlich nicht, Esther?«
»Oh, doch, doch«, sagte ich. »Sie interessiert mich sehr.« Am liebsten hätte ich die Worte laut gerufen, damit sie überzeugender klängen, aber ich hielt mich zurück.
Mein Leben lang hatte ich mir gesagt, Studieren und Lesen und Schreiben und Arbeiten wie verrückt sei genau das, was ichwollte, und so war es anscheinend auch gewesen, ich kam überall gut zurecht, hatte lauter A's und war nicht zu bremsen gewesen, als ich auf das College kam.
Ich war College-Korrespondentin für die örtliche Gazette und Chefredakteurin der Literaturzeitschrift und Sekretärin des Ehrenausschusses, der sich mit akademischen und gesellschaftlichen Verfehlungen und Strafen befaßte – ein beliebter Posten, und es gab eine bekannte Lyrikerin und Professorin an der Fakultät, die sich dafür einsetzte, daß ich an einer der großen Universitäten im Osten studieren könnte, ich hatte Aussichten auf Stipendien für die gesamte Studienzeit und ging nun bei der besten Redakteurin aller intellektuellen Modezeitschriften in die Lehre – und was tat ich? Ich bockte und sträubte mich wie ein dummer Karrengaul.
»Ich bin sehr an allem interessiert.« Die Wörter fielen matt und flach wie hölzerne Münzen auf Jay Cees Schreibtisch.
»Das freut mich«, sagte sie etwas gereizt. »Wissen Sie, Sie können während dieses Monats bei der Zeitschrift viel lernen, wenn Sie nur ein bißchen die Ärmel hochkrempeln. Das Mädchen, das vor Ihnen hier war, hat sich keinen Deut um Modenschauen und solchen Kram geschert. Die ist aus diesem Büro direkt zum Time Magazine gegangen.«
»Oho!« sagte ich mit der gleichen Grabesstimme. »Das war aber schnell!«
»Sie haben natürlich noch ein Jahr College vor sich«, fuhr Jay Cee etwas freundlicher fort. »Was haben Sie denn nach dem College vor?«
Ich hatte immer geglaubt, ich hätte vor, mir nach dem College ein ordentliches Stipendium für eine Universität oder für ein Studium in Europa zu besorgen, und dann wollte ich Professorin werden und Gedichtbände schreiben oder Gedichtbände schreiben und eine Art Lektorin oder Redakteurin werden. Normalerweise fiel es mir nicht schwer, von diesen Plänen zu sprechen.
»Ich weiß nicht«, hörte ich mich sagen. Ich war bestürzt, als ich mich das sagen hörte, denn in dem Augenblick, da ich es aussprach, wußte ich, daß es stimmte.
Es klang wahr, und ich erkannte es, wie man einen nichtssagenden Menschen erkennt, der sich ewig vor der Tür von einem herumdrückt und plötzlich auf einen zukommt und sich als der wirkliche Vater von einem vorstellt und auch genauso aussieht wie man selbst, so daß man weiß, er ist wirklich der Vater von einem, und der Mensch, den man ein Leben lang für den eigenen Vater gehalten hat, ist bloß ein Heuchler.
»Ich weiß nicht.«
»So kommen Sie niemals weiter.« Jay Cee überlegte. »Welche Sprachen sprechen Sie?«
»Oh, ich kann ein bißchen Französisch lesen, glaube ich, und Deutsch wollte ich immer lernen.« Seit ungefähr fünf Jahren erzählte ich den Leuten, ich wollte immer Deutsch lernen.
Meine Mutter sprach als Kind in Amerika deutsch und wurde deswegen im Ersten Weltkrieg von ihren Mitschülerinnen mit Steinen beworfen. Mein deutsch sprechender Vater, der starb, als ich neun Jahre alt war, kam aus irgendeinem manischdepressiven Dörfchen im tiefsten Preußen. Mein jüngerer Bruder versuchte in Berlin gerade herauszufinden, wie ihm das Leben im Ausland bekam und sprach deutsch wie ein Einheimischer.
Allerdings verschwieg ich, daß sich mein Verstand jedesmal, wenn ich ein deutsches Wörterbuch oder ein deutsches Buch aufschlug, beim bloßen Anblick dieser dicht gedrängten, schwarzen Stacheldrahtbuchstaben wie eine Muschel verschloß.
»Ich dachte immer, ich würde gern in einem Verlag arbeiten«, versuchte ich meine alte Geschäftstüchtigkeit in eigener Sache zu beschwören. »Ich glaube, ich werde mich bei irgendeinem Verlag bewerben.«
»Französisch und Deutsch sollten Sie schon können«, sagte Jay Cee unbarmherzig, »und am besten noch ein paar andere Sprachen – Spanisch und Italienisch – oder besser: Russisch. JedenJuni fallen ein paar hundert Mädchen in New York ein, die alle Lektorin werden wollen. Da müssen Sie mehr zu bieten haben als der Durchschnitt. Sie sollten Sprachen studieren.«
Ich traute mich nicht, Jay Cee zu sagen, daß in meinem Arbeitsplan für das letzte College-Jahr nicht mehr der geringste Platz für irgendwelche Sprachstudien
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