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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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der School of Business Administration in Boston.
    Nach und nach begriff ich, daß Constantin sich für später an diesem Tag mit mir verabreden wollte.
    »Hätten Sie Lust, sich heute nachmittag die UNO anzusehen?«
    »Ich sehe die UNO schon«, sagte ich mit leicht hysterischem Kichern.
    Er schien verblüfft.
    »Ich kann sie von meinem Fenster aus sehen.« Möglich, dachte ich, daß mein Englisch eine Idee zu schnell für ihn ist.
    Es entstand eine Stille.
    Dann sagte er: »Vielleicht möchten Sie nachher einen Happen essen.«
    Ich erkannte den Wortschatz von Mrs. Willard, und mir sank das Herz. Auch Mrs. Willard lud jeden ein, einen Happen zu essen. Ich erinnerte mich, daß dieser Mann nach seiner Ankunft in Amerika bei Mrs. Willard gewohnt hatte – Mrs. Willard nahm an einem dieser internationalen Programme teil, bei denen man Ausländer in seinem Haus unterbringt, und wenn man dann selbst ins Ausland fährt, bringen sie einen in ihren Häusern unter.
    Jetzt begriff ich, daß Mrs. Willard sich ihr offenes Haus in Rußland einfach gegen meinen Happen in New York gesichert hatte.
    »Ja, ich würde gern einen Happen essen«, sagte ich gestelzt.
    »Wann wollen Sie kommen?«
    »Ich hole Sie gegen zwei mit dem Wagen ab. Im Amazon, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ah, dann weiß ich Bescheid.«
    Einen Moment lang schien es mir, als würde da ein merkwürdiger Unterton mitschwingen, dann fiel mir ein, daß wahrscheinlich einige Mädchen aus dem Amazon als Sekretärinnen bei der UNO arbeiteten und daß er mit einer von ihnen vielleicht schon mal ausgegangen war. Ich ließ ihn zuerst auflegen, dann legte ich auf und sank zurück in die Kissen. Mir war elend zumute.
    Und schon ging es wieder los: Ich malte mir ein Glanzbild von einem Mann aus, der mich vom ersten Augenblick an leidenschaftlich lieben würde, bloß wegen ein paar lächerlicher Kleinigkeiten. Ein Höflichkeitsbesuch bei der UNO , und nach der UNO ein Sandwich!
    Ich versuchte, mich wieder aufzubauen.
    Wahrscheinlich war Mrs. Willards Simultandolmetscher klein und häßlich, und am Ende würde ich auf ihn herabsehen, wie ich auf Buddy Willard herabsah. Bei diesem Gedanken empfand ich eine gewisse Befriedigung. Weil ich tatsächlich auf Buddy Willard herabsah, und obwohl alle immer noch glaubten, ich würde ihn heiraten, wenn er aus diesem Tb-Heim herauskäme, wußte ich doch, daß ich ihn niemals heiraten würde, auch nicht, wenn er der letzte Mann auf dieser Erde wäre.
    Buddy Willard war ein Heuchler.
    Anfangs hatte ich natürlich nicht gewußt, daß er ein Heuchler war. Ich hielt ihn für den tollsten Jungen, den ich je gesehen hatte. Fünf Jahre lang betete ich ihn aus der Ferne an, ehe er sich zum erstenmal nach mir umsah, und dann begann eine schöne Zeit, als ich ihn noch anbetete und er begann, mich anzusehen, aber gerade als er dann immer mehr von mir sehen wollte, entdeckte ich zufällig, was für ein schrecklicher Heuchler er war, und inzwischen wollte er, daß ich ihn heiratete, ich aber haßte ihn wie die Pest.
    Das Schlimmste war, ich konnte ihm nicht ohne weiteres sagen,was ich von ihm hielt, weil er Tb bekommen hatte, bevor ich so weit war, und nun mußte ich ihn bei Laune halten, bis er wieder gesund war und die ungeschminkte Wahrheit verkraften konnte.
    Ich beschloß, nicht unten in der Cafeteria zu frühstücken. Dazu hätte ich mich anziehen müssen, aber wozu sich anziehen, wenn man den Morgen über im Bett bleiben will? Ich hätte vermutlich anrufen und mir das Frühstück aufs Zimmer bringen lassen können, aber dann hätte ich der Person, die es mir brachte, ein Trinkgeld geben müssen, und ich wußte nie, wieviel Trinkgeld man geben mußte. Beim Trinkgeldgeben in New York hatte ich ein paar sehr unangenehme Erlebnisse gehabt.
    Als ich das Amazon zum erstenmal betrat, trug mir ein zwergenhafter, kahlköpfiger Mann in einer Pagenuniform den Koffer zum Aufzug und schloß mir mein Zimmer auf. Ich stürzte natürlich sofort zum Fenster, um zu sehen, wie die Aussicht war. Nach einer Weile bemerkte ich, daß dieser Page an meinem Waschbecken die Hähne für warmes und kaltes Wasser aufdrehte und dabei sagte: »Hier ist warm und hier kalt«, und das Radio einschaltete und mir die Namen aller New Yorker Sender aufzählte, bis mir ein wenig mulmig wurde. Ich kehrte ihm den Rücken zu und sagte mit fester Stimme: »Danke, daß Sie mir den Koffer hochgebracht haben.«
    »Danke, danke, danke, ha!« zischte er mich an, und bevor ich mich umdrehen und

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