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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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und sie war wirklich sehr komisch. Am Konferenztisch saß sie meistens neben mir, und wenn die prominenten Leute, die uns besuchten, ihre Vorträge hielten, flüsterte sie mir allerlei sarkastische Bemerkungen ins Ohr. Ihr College, erzählte sie, sei so modebewußt, daß sich alle Mädchen Handtaschenbezüge aus dem gleichen Stoff wie ihre Kleider machen ließen, und wenn sie sich umzögen, hätten sie immer auch eine passende Handtasche. Solche Einzelheiten beeindruckten mich. In ihnen deutete sich ein Leben in herrlich pompöser Dekadenz an, das mich magnetisch anzog.
    Vorwürfe machte mir Doreen nur, weil ich mir immer Mühe gab, meine Aufgaben pünktlich zu erledigen.
    »Wozu rackerst du dich ab?« In einem seidenen, pfirsichfarbenen Morgenrock rekelte sie sich auf meinem Bett und bearbeitete mit einer Papierfeile ihre langen, nikotingelben Fingernägel, während ich das Konzept für ein Interview mit einer Bestsellerautorin tippte.
    Das kam noch hinzu – wir anderen hatten gestärkte Sommernachthemden aus Baumwolle und gesteppte Morgenmäntel oder vielleicht Frotteebademäntel, die man auch am Strand anziehen konnte, aber Doreen trug diese langen, halb durchsichtigen Dinger aus Nylon und Spitzen und hautfarbene Morgenröcke, die irgendwie elektrisch an ihr klebten. Sie hatte einen interessanten, leicht schweißigen Geruch, der mich an die gefiederten Blätter des Amberstrauchs erinnerte, die eine Art Moschusduft verströmen, wenn man sie zwischen den Fingern zerbröselt.
    »Du weißt doch, der alten Jay Cee ist es völlig schnurz, ob diese Geschichte morgen kommt oder erst Montag.« Doreen zündete sich eine Zigarette an und ließ den Rauch langsam aus den Nasenlöchern quellen, so daß ein Schleier vor ihre Augen trat. »Jay Cee ist häßlich wie die Sünde«, fuhr sie kalt fort. »Ich wette, ihr Alter macht das Licht aus, bevor er an sie rangeht, sonst müßte er kotzen.«
    Jay Cee war meine Chefin, und ich hatte sie sehr gern, auch wenn Doreen über sie herzog. Sie war keine von diesen Modezicken mit falschen Wimpern und Flitterschmuck. Sie hatte Grips, und deshalb schien es mir unwichtig, daß sie abgrundtief häßlich war. Sie sprach mehrere Sprachen und kannte alle guten Autoren in der Branche.
    Ich versuchte mir Jay Cee ohne ihr strenges Bürokostüm und ohne ihren offiziellen Mittagshut zusammen mit ihrem dicken Mann im Bett vorzustellen, aber es gelang mir einfach nicht. Ich hatte immer furchtbare Schwierigkeiten, mir Leute zusammen im Bett vorzustellen.
    Jay Cee wollte mir etwas beibringen, alle alten Damen, denen ich je begegnet war, wollten mir etwas beibringen, doch nun glaubte ich plötzlich nicht mehr, daß sie mir etwas beibringen könnten. Ich schob den Deckel über meine Schreibmaschine und ließ ihn einklicken.
    Doreen grinste. »Kluges Kind.«
    Jemand klopfte an die Zimmertür.
    »Wer ist da?« Ich machte mir nicht die Mühe aufzustehen.
    »Ich bin's, Betsy. Kommst du mit zu der Party?«
    »Warum nicht.« Ich war noch immer nicht an der Tür.
    Betsy mit ihrem wippenden, blonden Pferdeschwanz und ihrem einfältig strahlenden Lächeln war direkt aus Kansas importiert worden. Ich weiß noch, wie wir beide einmal in das Büroeines Fernsehproduzenten mit blauem Kinn und Nadelstreifenanzug gerufen wurden, der irgendeinen Aufhänger für eine Sendung suchte, und wie Betsy plötzlich anfing, über männlichen und weiblichen Mais in Kansas zu reden. Sie kam so in Fahrt, daß selbst dem Produzenten die Tränen kamen, aber gebrauchen konnte er nichts davon – leider, sagte er.
    Später überredete die Kosmetikredakteurin Betsy, sich das Haar abzuschneiden, und machte ein Covergirl aus ihr, und heute lächelt mir ihr Gesicht noch gelegentlich aus Anzeigen wie »Auch P. Q's Frau trägt B. H. Wragge« entgegen.
    Betsy lud mich andauernd ein, mit ihr und den anderen Mädchen etwas zu unternehmen, als wollte sie mich irgendwie retten. Dagegen lud sie Doreen nie ein. Wenn wir unter uns waren, nannte Doreen sie Pollyana Cowgirl.
    »Willst du in unserem Taxi mitfahren?« fragte Betsy durch die Tür.
    Doreen schüttelte den Kopf.
    »Schon gut, Betsy«, sagte ich. »Ich fahre mit Doreen.«
    »Okay.« Ich konnte hören, wie Betsy den Flur entlangtappte.
    »Wir bleiben nur, bis wir es leid sind«, sagte Doreen zu mir und drückte ihre Zigarette auf dem Fuß meiner Nachttischlampe aus, »dann gehen wir in die Stadt. Die Partys, die sie hier aufziehen, erinnern mich an diese albernen Bälle in der Schulturnhalle.

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