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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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Problem lag.
    Ich brauchte Erfahrung.
    Wie konnte ich über das Leben schreiben, wenn ich nie eine Liebschaft gehabt, nie ein Kind bekommen, nie jemanden hatte sterben sehen? Ein Mädchen, das ich kannte, hatte vor kurzem mit einer Kurzgeschichte über ihre Abenteuer bei den Pygmäen in Afrika einen Preis gewonnen. Wie sollte ich da mithalten?
    Als wir mit dem Abendessen fertig waren, hatte mich meine Mutter davon überzeugt, daß es gut sei, abends Stenographie zu üben. Auf diese Weise würde ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, einen Roman schreiben und etwas Praktisches lernen. Außerdem würde ich eine Menge Geld sparen. Noch am gleichen Abend zog meine Mutter aus dem Gerümpel im Keller eine alte Tafel hervor und stellte sie auf die Terrasse.Dann trat sie vor die Tafel und kritzelte mit weißer Kreide kleine Schnörkel, während ich auf einem Stuhl saß und zusah.
    Anfangs war ich hoffnungsfroh.
    Ich glaubte, ich könnte Stenographie im Handumdrehen lernen, und wenn mich die sommersprossige Dame im Stipendienbüro dann fragte, warum ich mir im Juli und August keinen Job gesucht und kein Geld verdient hätte, wie es erwartet wurde, wenn man ein Stipendium bekam, dann konnte ich ihr sagen, ich hätte statt dessen einen kostenlosen Stenographiekurs absolviert, damit ich nach dem College sofort für mich selbst sorgen konnte.
    Die Sache war nur die, sobald ich mir eine Arbeit auszumalen versuchte, bei der ich fröhlich und munter eine Zeile nach der anderen in Kurzschrift zu Papier brachte, war mein Kopf mit einem Schlag leer. Es gab keine Arbeit, die mir gefallen hätte und für die ich Stenographie brauchte. Während ich dasaß und zusah, verschwammen die weißen Kreideschnörkel in Sinnlosigkeit.
    Ich sagte meiner Mutter, ich hätte furchtbare Kopfschmerzen, und ging zu Bett.
    Eine Stunde später öffnete sich die Tür einen Spaltweit, und sie schlich ins Zimmer. Ich hörte das Rascheln ihrer Kleider, während sie sich auszog. Sie legte sich ins Bett. Bald ging ihr Atem langsam und regelmäßig.
    Im trüben Licht der Straßenlampe, das durch die heruntergezogenen Rollos drang, sahen die Haarnadeln auf ihrem Kopf wie eine Reihe kleiner Bajonette aus.
    Ich beschloß, den Roman zu verschieben, bis ich in Europa gewesen war und einen Liebhaber gehabt hatte, und nie würde ich auch nur ein Wort Stenographie lernen. Wenn ich Stenographie nicht lernte, würde ich sie auch nicht benutzen müssen.
    Ich überlegte mir, daß ich den Sommer über Finnegans Wake lesen und an meiner Abschlußarbeit schreiben könnte.
    Dann hätte ich, wenn das College Ende September wieder begann, einen Vorsprung und könnte mein letztes Jahr genießen, statt ungeschminkt und mit strähnigem Haar bei Kaffee und Benzedrin zu büffeln, wie es die meisten Prüflinge taten, bis sie mit ihrer Arbeit fertig waren.
    Dann fiel mir ein, ich könnte das College für ein Jahr unterbrechen und zu einem Töpfer in die Lehre gehen.
    Oder ich könnte nach Deutschland gehen und mich dort als Kellnerin durchschlagen, bis ich zweisprachig war.
    Bald sprangen alle möglichen Pläne in meinem Kopf herum, wie eine Familie verrückter Kaninchen.
    Ich sah die Jahre meines Lebens wie Telefonmasten, die sich, durch Drähte verbunden, in regelmäßigen Abständen an einer Straße entlangzogen. Ich zählte einen, zwei, drei … neunzehn Telefonmasten, dann hingen die Drähte ins Leere, und hinter dem neunzehnten konnte ich beim besten Willen keinen weiteren Mast mehr entdecken.
    Bläuliche Helligkeit erfüllte das Zimmer, und ich fragte mich, wo die Nacht geblieben war. Aus einem nebelhaften Klotz verwandelte sich meine Mutter in eine schlummernde Frau mittleren Alters, mit leicht geöffnetem Mund, aus dem ein Schnarchen hervordrang. Die Schweinelaute ärgerten mich, und eine Zeitlang kam es mir vor, als ließen sie sich nur abstellen, indem ich die Haut-und Sehnensäule, aus der sie hervordrangen, mit beiden Händen packte und so lange drückte, bis alles still war.
    Solange meine Mutter noch nicht zur Schule gefahren war, tat ich, als würde ich schlafen, aber auch meine Augenlider hielten das Licht nicht ab. Sie hängten den roten Schirm ihrer winzigen Gefäße vor mich wie vor eine offene Wunde. Ich kroch zwischen die Matratze und das gepolsterte Bettgestell und ließ die Matratze wie einen Grabstein auf mich fallen. Es war dunkel und sicher da unten, aber die Matratze war nicht schwer genug.
    Sie hätte eine Tonne mehr wiegen müssen, um mich zum Schlafen

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