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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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hatte eine freundliche, einfühlsame Art.
    Ich glaubte, es müsse daran liegen, daß sie Italienerin war.
    Es entstand eine kleine Pause.
    »Was ist eigentlich los?« fragte Teresa schließlich.
    »Ich kann nicht schlafen. Ich kann nicht lesen.« Ich versuchte,ruhig und besonnen zu sprechen, aber der Zombie in meiner Kehle erhob sich und würgte mich ab. Ich drehte die Handflächen nach oben.
    »Ich glaube«, Teresa riß ein weißes Blatt von ihrem Rezeptblock und schrieb einen Namen und eine Adresse darauf, »du solltest einmal zu einem anderen Arzt gehen, den ich kenne. Er wird dir eher helfen können als ich.«
    Ich starrte auf das Geschriebene, aber ich konnte es nicht lesen.
    »Doktor Gordon«, sagte Teresa. »Er ist Psychiater.«

Elf
    In Doktor Gordons Wartezimmer war es still und beige.
    Die Wände waren beige, und der Teppich war beige, die Polstersessel und die Sofas waren ebenfalls beige. Spiegel oder Bilder gab es nicht, nur Urkunden verschiedener medizinischer Fakultäten mit dem Namen von Doktor Gordon in Latein hingen an den Wänden. Blaßgrüne, geschwungene Farnwedel und gezackte Blätter von einem viel dunkleren Grün sprossen aus den Keramiktöpfen auf dem Beistelltisch und dem Couchtisch und dem Zeitschriftentisch.
    Anfangs wunderte ich mich darüber, daß ich mir in diesem Raum so geborgen vorkam. Dann merkte ich, daß er keine Fenster hatte.
    Die Klimaanlage ließ mich frösteln.
    Ich trug noch immer Betsys weiße Bluse und den Dirndlrock. Sie waren ein wenig schlaff, weil ich sie während der drei Wochen zu Hause nicht gewaschen hatte. Der verschwitzte Baumwollstoff verströmte einen säuerlichen, aber freundlichen Geruch.
    Auch mein Haar hatte ich seit drei Wochen nicht gewaschen.
    Und seit sieben Nächten hatte ich nicht geschlafen.
    Meine Mutter sagte, ich müsse geschlafen haben, es sei unmöglich, so lange Zeit nicht zu schlafen, aber wenn ich geschlafen hatte, dann mit weit offenen Augen, denn ich hatte die grüne, glimmende Bahn des Sekundenzeigers, des Minutenzeigers und des Stundenzeigers an der Uhr neben dem Bett Nacht für Nacht seit sieben Nächten durch alle Kreise und Halbkreise verfolgt und hatte keine Sekunde, keine Minute und keine Stunde ausgelassen.
    Meine Kleider und mein Haar hatte ich nicht gewaschen, weil es mir albern vorkam.
    Vor mir sah ich die Tage des Jahres wie eine lange Reihe strahlendweißer Schachteln, und der Schlaf trennte jede Schachtel von der nächsten wie ein schwarzer Schatten. Für mich jedoch war die lange Reihe der Schatten zwischen den Schachteln plötzlich zusammengeschnurrt, und nun lagen grell leuchtend nur noch Tage vor mir, eine breite, weiße, unendlich trostlose Straße.
    Ich fand es albern, mich an einem Tag zu waschen, wenn ich mich am nächsten gleich wieder waschen sollte.
    Schon der Gedanke langweilte mich.
    Ich wollte alles ein für allemal erledigen und dann fertig sein.
    Doktor Gordon spielte mit einem silbernen Stift.
    »Ihre Mutter sagt mir, Sie seien nervös.«
    Ich machte es mir in dem höhlenartigen Ledersessel bequem und spähte zu Doktor Gordon auf der anderen Seite der riesigen Hochglanzebene des Schreibtischs hinüber.
    Doktor Gordon wartete. Er klopfte – tapp, tapp, tapp – mit seinem Stift auf die saubere, grüne Fläche seiner Schreibunterlage.
    Seine Wimpern waren so lang und so dick, daß sie künstlich wirkten. Schwarzes Plastikschilf um zwei grüne Gletschertümpel.
    Doktor Gordons Gesichtszüge waren so vollkommen, daß er fast schön aussah.
    Ich haßte ihn von dem Augenblick an, da ich zur Tür hereinkam.
    Ich hatte mir einen netten, häßlichen, verständnisvollen Mann vorgestellt, der aufblicken und ermutigend »Ach!« sagen würde, als könnte er etwas sehen, das ich nicht sah, und nachher würde ich Worte finden und ihm sagen, wie das mit meiner Angst war und daß es mir vorkam, als würde ich tiefer und immer tiefer in einen schwarzen Sack gestopft, ohne Luft und ohne Entkommen.
    Er würde sich in seinem Sessel zurücklehnen, würde die Fingerspitzen zu einem kleinen Kirchturm zusammenlegen und mir sagen, warum ich nicht schlafen, nicht lesen, nicht essen konnte und warum mir alles, was die Leute taten, so albern vorkam, da sie zuletzt ja doch nur starben.
    Und dann, so stellte ich mir vor, würde er mir helfen, Schritt für Schritt wieder ich selbst zu werden.
    Aber Doktor Gordon war ganz und gar nicht so. Er war jung und sah gut aus, und daß er eingebildet war, erkannte ich sofort.
    Doktor Gordon hatte auf

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