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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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zu. Ich wußte nicht, was er vorhatte, deshalb stand ich ebenfalls auf.
    Doktor Gordon griff nach der Hand, die rechts neben mir hing, und schüttelte sie.
    »Bis nächste Woche also.«
    Die vollbusigen Ulmen wölbten einen Tunnel aus Schatten über die gelben und roten Ziegelfassaden an der Commonwealth Avenue, und eine Straßenbahn hangelte sich auf schmaler Silberspur nach Boston. Ich wartete, bis sie vorüber war, und ging dann zu dem grauen Chevrolet hinüber, der auf der anderen Straßenseite parkte.
    Blaß wie eine Zitronenscheibe sah mir das ängstliche Gesicht meiner Mutter durch das Wagenfenster entgegen.
    »Und? Was hat er gesagt?«
    Ich zog die Wagentür zu. Sie schloß nicht richtig. Ich stieß sie noch einmal auf und warf sie mit einem Knall ins Schloß.
    »Er hat gesagt: Bis nächste Woche.«
    Meine Mutter seufzte.
    Doktor Gordon kostete fünfundzwanzig Dollar die Stunde.
    »Hallo du, wie heißt denn du?«
    »Elly Higginbottom.«
    Der Matrose paßte sich meinem Schritt an, und ich lächelte. Es kam mir vor, als seien die Matrosen im Common-Park in Boston so zahlreich wie die Tauben. Es sah aus, als kämen sie alle aus einem graubraunen Rekrutierungsbüro auf der anderen Seite mit blauweißen »Join the Navy«-Plakaten drinnen und draußen.
    »Wo kommst du denn her, Elly?«
    »Chicago.«
    Ich war noch nie in Chicago gewesen, aber ich kannte ein paar Jungen, die in Chicago studierten, und es schien eine Stadt zu sein, aus der unkonventionelle Leute, die ein bißchen durcheinander waren, kommen konnten.
    »Da bist du aber weit von zu Hause weg.«
    Der Matrose legte einen Arm um mich, und lange spazierten wir so im Park umher: Er streichelte mir durch den grünen Dirndlrock die Hüfte, und ich lächelte geheimnisvoll, immer bemüht, nichts zu sagen, wodurch ich verraten hätte, daß ich aus Boston kam und hier jederzeit Mrs. Willard über den Weg laufen konnte, oder einer der anderen Freundinnen meiner Mutter, die nach dem Tee in Beacon Hill oder nach einem Einkaufsbummel in Filene's Basement womöglich durch den Common-Park gingen.
    Ich überlegte, wenn ich jemals tatsächlich nach Chicago käme, würde ich meinen Namen für immer ändern und mich Elly Higginbottom nennen. Dann würde niemand wissen, daß ich ein Stipendium an einem großen Frauencollege an der Ostküste geschmissen und einen Monat in New York vertan und den Heiratsantrag eines grundsoliden Medizinstudenten abgelehnt hatte, der eines Tages Mitglied des Amerikanischen Medizinerverbandes sein und jede Menge Geld verdienen würde.
    In Chicago würden mich die Leute so nehmen, wie ich war.
    Ich wäre einfach Elly Higginbottom, das Waisenkind. Die Leute würden mich wegen meiner netten, ruhigen Art mögen. Sie würden nicht immerzu hinter mir her sein, ich solle Bücher lesen und lange Aufsätze über das Zwillingsmotiv bei James Joyce schreiben. Und eines Tages würde ich vielleicht einen männlichen und doch feinfühligen Automechaniker heiraten und eine große, trödelige Familie haben, wie Dodo Conway.
    Falls mir danach war.
    »Was willst du machen, wenn du die Navy hinter dir hast?« fragte ich den Matrosen plötzlich.
    Es war der längste Satz, den ich von mir gegeben hatte, und der Matrose schien bestürzt. Er schob seinen Napfkuchenhut zur Seite und kratzte sich am Kopf.
    »Tja, also, weiß nicht, Elly«, sagte er. »Vielleicht gehe ich über das GI -Gesetz aufs College.«
    Ich antwortete nicht gleich. Dann fragte ich in vielsagendem Ton: »Hast du eigentlich nie daran gedacht, eine Autowerkstatt aufzumachen?«
    »Nö«, sagte der Matrose, »nie.«
    Ich musterte ihn aus den Augenwinkeln. Er sah aus wie sechzehn, keinen Tag älter.
    »Weißt du, wie alt ich bin?« fragte ich vorwurfsvoll.
    Der Matrose grinste mich an. »Nö, ist mir auch egal.«
    Mir fiel auf, daß dieser Matrose wirklich gut aussah. Nordisch und unberührt. Jetzt, da ich ein einfaches Gemüt hatte, wirkte ich offenbar auf ordentliche, gutaussehende Leute anziehend.
    »Ich bin dreißig!« sagte ich und wartete ab.
    »Sieht man dir aber nicht an, Elly!« Der Matrose kniff mich in die Hüfte.
    Dann sah er sich nach links und rechts um. »Hör zu, Elly, da drüben auf den Stufen hinter dem Denkmal könnte ich dich küssen.«
    In diesem Augenblick bemerkte ich eine braune Gestalt in sehr flachen, braunen Schuhen, die durch den Park auf mich zukam. Aus der Entfernung konnte ich einzelne Züge in dem münzenkleinen Gesicht nicht erkennen, aber ich wußte, es war Mrs.

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