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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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würde, und ich getraute mich nicht, zur Bank zu gehen und all mein Geld abzuheben, weil ich dachte, Doktor Gordon habe den Kassierer in der Bank vielleicht vorgewarnt und ihn gebeten, mich abzufangen, wenn ich irgend etwas Auffälliges unternahm.
    Mir fiel ein, daß ich per Anhalter fahren könnte, aber ich hattekeine Ahnung, welche von all den Ausfallstraßen, die es in Boston gab, nach Chicago führte. Auf einer Landkarte kann man sich leicht orientieren, aber wenn ich gerade irgendwo mittendrin war, fiel mir die Orientierung immer schwer. Immer wenn ich herauszufinden versuchte, wo Osten oder Westen lag, war gerade Mittag, oder es war wolkig oder Nacht – und außer mit dem Großen Bären und dem Stuhl der Cassiopeia kannte ich mich bei Sternbildern überhaupt nicht aus, eine Sache, die Buddy Willard immer zur Verzweiflung gebracht hatte.
    Ich beschloß, zum Busbahnhof zu gehen und mich zu erkundigen, was die Fahrt nach Chicago kostete. Dann konnte ich zur Bank gehen und genau diesen Betrag abheben, was nicht soviel Verdacht erregen würde.
    Ich hatte den Busbahnhof gerade durch die Glastüren betreten und suchte in dem Gestell mit den Prospekten und Fahrplänen herum, als mir einfiel, daß die Bank in meiner Heimatstadt schon geschlossen haben würde, es war Nachmittag, und Geld würde ich dort erst am nächsten Tag wieder bekommen.
    Mein Termin in Walton war für zehn Uhr angesetzt.
    In diesem Augenblick begann der Lautsprecher zu knistern und sagte die Haltestellen eines Busses an, der in Kürze von dem Platz draußen abfahren würde. Die Lautsprecherstimme schnarrte und knackte wie üblich, so daß man kein Wort verstehen konnte, doch plötzlich hörte ich zwischen all dem Rauschen und Krachen einen vertrauten Namen, klar und deutlich wie ein Klavier-a im Getöse eines Orchesters, das die Instrumente stimmt.
    Es war eine Haltestelle, die zwei Blocks von unserem Haus entfernt lag.
    Ich stürzte in den heißen, staubigen Julinachmittag hinaus, schwitzend, mit trockenem Mund, als hätte ich mich zu einer schwierigen Besprechung verspätet, und stieg in den roten Bus, dessen Motor schon lief.
    Ich gab dem Fahrer das Fahrgeld, und leise, auf gepolsterten Scharnieren, schloß sich hinter mir die Falttür.

Zwölf
    Doktor Gordons Privatklinik thronte auf einer grasbedeckten Anhöhe am Ende einer langen, versteckt liegenden Zufahrt, die mit weißem Venusmuschelbruch bedeckt war. Die gelben Außenwände des großen, mit Holz verkleideten Hauses, das auf allen Seiten von einer Veranda umgeben war, leuchteten in der Sonne, aber Menschen spazierten auf dem grünen Rasenbuckel nicht umher.
    Als meine Mutter und ich näher kamen, fiel die Sommerhitze über uns her, und in einer Blutbuche hinter dem Haus sprang, wie ein unsichtbarer Rasenmäher, eine Zikade an. Der Ton dieser Zikade brachte die gewaltige Stille erst richtig zum Klingen.
    Eine Krankenschwester empfing uns am Eingang.
    »Wenn Sie bitte drüben im Aufenthaltsraum warten würden. Doktor Gordon kommt gleich zu Ihnen.«
    Mich störte vor allem, daß alles an diesem Haus so normal aussah, obwohl ich doch wußte, daß es mit Verrückten vollgestopft sein mußte. Die Fenster waren, soweit ich sie sehen konnte, nicht vergittert, und es waren auch keine wilden oder beunruhigenden Geräusche zu hören. In gleichmäßigen Rechtecken verteilte sich das Sonnenlicht auf dem abgetretenen, aber weichen roten Teppich, und der Duft von frisch gemähtem Gras würzte die Luft.
    Ich blieb in der Tür zum Aufenthaltsraum stehen.
    Einen Moment lang glaubte ich, er sei eine Nachbildung des Gesellschaftszimmers einer Pension auf einer Insel vor Maine, in der ich früher mal Urlaub gemacht hatte. Durch die Glastüren fiel blendend weißes Licht herein, den hinteren Teil des Raumes füllte ein Flügel, und Leute in Sommerkleidern saßen an Spieltischen und in schiefen Korbsesseln, wie man sie in heruntergekommenen Seebädern oft findet.
    Dann fiel mir auf, daß sich alle diese Leute nicht bewegten.
    Ich sah genauer hin und versuchte herauszufinden, was die Posen, die sie eingenommen hatten, bedeuten mochten. Ich erkannte Männer und Frauen, auch Jungen und Mädchen, die so jung sein mußten wie ich, aber es war etwas Einförmiges in den Gesichtern all dieser Leute, als hätten sie unter Schichten von feinem, bleichem Staub, fern von jeglichem Sonnenlicht, lange auf einem Regal gelegen.
    Dann sah ich, daß sich manche Leute doch bewegten, aber mit so kleinen, vogelfeinen Gebärden,

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