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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Plath
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gut an diese Sandbank erinnern. In der Krümmung, dort, wo sie vom Land abbog, gab es eine besondere Art von Muscheln, die man nirgendwo sonst am Strand finden konnte.
    Die Muschel war dick, glatt, so groß wie ein Daumengelenk und meistens weiß, manchmal allerdings auch pink oder pfirsichfarben. Sie ähnelte einem einfachen Schneckenhaus.
    »Mami, dieses Mädchen sitzt immer noch da.«
    Träge blickte ich auf und sah ein kleines, sandiges Kind, das von einer hageren, vogeläugigen Mutter in roten Shorts und einem rot-weiß gepunkteten Oberteil vom Wasser weggezerrt wurde.
    Ich hatte nicht damit gerechnet, daß der Strand so von Sommerfrischlern überlaufen sein würde. In den zehn Jahren, seit ich nicht mehr hier gewesen war, waren blaue und rosa und blaßgrüne Buden aus dem flachen Sand von The Point aufgeschossen, eine Ansammlung nach nichts schmeckender Pilze, und an die Stelle der silbernen Propellerflugzeuge und der kleinen zigarrenförmigen Luftschiffe waren Düsenjets getreten, die über die Dächer dahinglitten, wenn sie sich dröhnend vom Flughafen jenseits der Bucht aufschwangen.
    Ich war das einzige Mädchen mit Rock und hohen Absätzen am Strand, und mir kam der Gedanke, daß ich auffallen mußte. Nach einer Weile hatte ich meine Lackschuhe ausgezogen, denn sie blieben immer wieder im Sand stecken. Mir gefiel die Vorstellung, daß sie da auf dem silbernen Stamm hocken und wie eine Art Seelenkompaß auf das Meer hinauszeigen würden, wenn ich schon tot war.
    Ich tastete nach der Schachtel mit den Rasierklingen in meiner Handtasche.
    Mir fiel ein, wie dumm ich war. Nun hatte ich die Rasierklingen, aber kein warmes Bad.
    Ich überlegte, ob ich mir ein Zimmer mieten sollte. Zwischen all den Sommerhäusern mußte es doch auch eine Pension geben. Aber ich hatte kein Gepäck dabei. Das würde Verdacht erregen. Außerdem wollten in einer Pension immer auch andere Gäste das Bad benutzen. Kaum hätte ich es getan und wäre in die Wanne gestiegen, da würde schon jemand gegen die Tür hämmern.
    Die Möwen auf ihren Holzpfählen an der Spitze der Sandbank miauten wie Katzen. Dann flatterten sie in ihren aschgrauen Jacken eine nach der anderen auf, umkreisten meinen Kopf und schrien.
    »Hallo, Tante, du bleibst aber besser nicht hier sitzen, die Flut kommt nämlich bald.«
    Der kleine Junge hockte ein paar Meter entfernt. Er nahm einen runden, dunkelroten Stein und warf ihn in hohem Bogen ins Wasser. Das Wasser verschluckte ihn mit einem dunklen Plopp. Dann krabbelte der Junge umher, und ich hörte die trockenen Steine wie Münzen aneinanderschlagen.
    Er ließ einen flachen Stein über die stumpfgrüne Wasserfläche streichen. Der hüpfte siebenmal, bevor er außer Sicht glitt.
    »Warum gehst du nicht nach Hause?« fragte ich.
    Der Junge ließ einen zweiten, schwereren Stein hüpfen, der nach dem zweiten Sprung versank. »Will nicht.«
    »Deine Mutter sucht bestimmt schon nach dir.«
    »Tut sie nicht.« Er klang besorgt.
    »Wenn du jetzt nach Hause gehst, bekommst du etwas Süßes von mir.«
    Der Junge rückte näher. »Was denn?«
    Aber ich wußte, ohne nachzusehen, daß ich in meiner Handtasche nur Erdnußschalen hatte.
    »Ich gebe dir Geld, und du kaufst dir etwas Süßes dafür.«
    » Aar -thur!«
    Es kam tatsächlich eine Frau auf die Sandbank hinaus, humpelnd und ohne Zweifel vor sich hinschimpfend, denn zwischen ihren deutlich hörbaren, gebieterischen Rufen gingen ihre Lippen auf und ab.
    » Aar -thur!«
    Sie legte die Hand über die Augen, als könnte sie uns auf diese Weise in dem dichter werdenden Nebel besser erkennen.
    Ich sah, wie das Interesse des Jungen versickerte, während die Anziehungskraft seiner Mutter zunahm. Er tat jetzt, als würde er mich nicht kennen, kickte ein paar Steine zur Seite, als suchte er nach etwas, und stahl sich davon.
    Ein Frösteln überkam mich.
    Die Steine lagen schwer und kalt unter meinen nackten Füßen. Sehnsüchtig dachte ich an die schwarzen Schuhe am Strand. Eine Welle zog sich wie eine Hand zurück, schob sich wieder vor und streifte meinen Fuß.
    Der Regenschauer schien vom Meeresgrund selbst zu kommen, wo blinde weiße Fische sich im eigenen Licht durch die große Polarkälte lotsten. Ich sah Haifischzähne und Walknochen verstreut da unten liegen, wie Grabsteine.
    Ich wartete ab, als könnte das Meer die Entscheidung für mich treffen.
    Eine zweite Welle fiel mit weißer Schaumlippe über meinemFuß zusammen, und Kälte griff mit tödlichem Schmerz nach

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